Editorial: Selbstbestimmt, aber nicht ganz allein
Trauer oder Erleichterung, Lähmung oder Neubeginn: Bei den Hinterbliebenen löst der Tod eines Menschen unterschiedlichste Gefühle aus. Die Gesellschaft schwankt zwischen einer Tabuisierung, die leblose Körper umgehend aus dem häuslichen Umfeld verschwinden lässt, und immer vielfältigeren Wünschen zur Gestaltung des Lebensendes. Dieses neue Spielfeld des modernen Individualismus setzt uns auch im letzten Lebensabschnitt unter Druck: Wir haben nun den Anspruch, das Sterben erfolgreich zu bewältigen, so wie wir unsere Karriere, unsere Work-Life-Balance oder eine Geburt erfolgreich bewältigen – im Wissen, dass Scheitern möglich ist, «bis zum Schluss», wie Daniel Di Falco schreibt (S. 12). Der Tod ist absolut, unausweichlich, endgültig. Doch wenn wir ihm ins Gesicht schauen, verschwimmen seine vermeintlich klaren Züge. Biologisch gesehen ist das Sterben schwierig festzumachen, denn es handelt sich um einen langen Prozess (S. 15). Diese zeitliche Dimension hat Folgen, insbesondere bei Entscheidungen über Transplantationen. Die Wissenschaft bietet keine eindeutigen Antworten. Vielmehr wirft jede neue Forschung weitere Fragen auf: medizinische, gesellschaftliche, rechtliche, philosophische. Antworten finden muss jede Gesellschaft selber. Der Tod ist universell, unser Umgang damit aber lokal geprägt, verankert in unserer Kultur, Religion, unserer Haltung gegenüber Individuum und Kollektiv. Die reichen Länder werden sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie sie mit dem letzten Lebensabschnitt umgehen. Die Medizin schwankt zwischen ihrer Pflicht, zu heilen, und dem Willen, die Patienten selber bestimmen zu lassen, wann sie die Maschinen abstellen oder auf eine Behandlung verzichten wollen; wann sie das Unausweichliche akzeptieren (S. 21). Diese zutiefst persönliche Entscheidung kann uns überfordern. Die Gesellschaft ist es sich schuldig, uns in dieser Prüfung zu begleiten. Der Entscheid soll selbstbestimmt erfolgen, wenn möglich aber nicht ganz allein. CC BY-NC-ND
Trauer oder Erleichterung, Lähmung oder Neubeginn: Bei den Hinterbliebenen löst der Tod eines Menschen unterschiedlichste Gefühle aus. Die Gesellschaft schwankt zwischen einer Tabuisierung, die leblose Körper umgehend aus dem häuslichen Umfeld verschwinden lässt, und immer vielfältigeren Wünschen zur Gestaltung des Lebensendes. Dieses neue Spielfeld des modernen Individualismus setzt uns auch im letzten Lebensabschnitt unter Druck: Wir haben nun den Anspruch, das Sterben erfolgreich zu bewältigen, so wie wir unsere Karriere, unsere Work-Life-Balance oder eine Geburt erfolgreich bewältigen – im Wissen, dass Scheitern möglich ist, «bis zum Schluss», wie Daniel Di Falco schreibt (S. 12).
Der Tod ist absolut, unausweichlich, endgültig. Doch wenn wir ihm ins Gesicht schauen, verschwimmen seine vermeintlich klaren Züge. Biologisch gesehen ist das Sterben schwierig festzumachen, denn es handelt sich um einen langen Prozess (S. 15). Diese zeitliche Dimension hat Folgen, insbesondere bei Entscheidungen über Transplantationen.
Die Wissenschaft bietet keine eindeutigen Antworten. Vielmehr wirft jede neue Forschung weitere Fragen auf: medizinische, gesellschaftliche, rechtliche, philosophische. Antworten finden muss jede Gesellschaft selber. Der Tod ist universell, unser Umgang damit aber lokal geprägt, verankert in unserer Kultur, Religion, unserer Haltung gegenüber Individuum und Kollektiv.
Die reichen Länder werden sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie sie mit dem letzten Lebensabschnitt umgehen. Die Medizin schwankt zwischen ihrer Pflicht, zu heilen, und dem Willen, die Patienten selber bestimmen zu lassen, wann sie die Maschinen abstellen oder auf eine Behandlung verzichten wollen; wann sie das Unausweichliche akzeptieren (S. 21). Diese zutiefst persönliche Entscheidung kann uns überfordern. Die Gesellschaft ist es sich schuldig, uns in dieser Prüfung zu begleiten. Der Entscheid soll selbstbestimmt erfolgen, wenn möglich aber nicht ganz allein.