Wo die Treibhausgase verschwinden
Meer, Wald und Böden speichern Kohlendioxid und bremsen so die globale Erwärmung. Ob man sich darauf auch in Zukunft verlassen kann, möchten Forschende nun herausfinden.
Fast die Hälfte des Kohlendioxids, das die Menschheit in die Umwelt entlässt, nehmen die Weltmeere und die Biosphäre an Land auf. So wird das Treibhausgas der Atmosphäre teilweise wieder entzogen. Das lindert die globale Erwärmung. Doch geht diese Speicherung auch in Zukunft weiter? Forschende sind nicht sicher. Eine veränderte Ozeanzirkulation, Stressreaktionen von Wäldern sowie deren Rodung könnten die Kapazität dieser Kohlendioxidsenken verkleinern.
An Land nehmen Pflanzen und Bäume Kohlendioxid (CO2) durch die Fotosynthese auf. In Form von Pflanzenmaterial gelangt der Kohlenstoff später in die Böden, wo darum grosse Mengen liegen. Wenn sich das Klima erwärmt, können Böden den gespeicherten Kohlenstoff durch mikrobielle Zersetzung aber wieder abgeben. Antworten auf die Frage, welcher Prozess in Zukunft die Oberhand gewinnt, suchen unter anderem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Schweiz.
Sensible Böden
Wie viel Kohlenstoff steckt im Boden, und wie kann sich das ändern? Das hat Frank Hagedorn an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in Birmensdorf untersucht. Entscheidend ist die Humusschicht. Sie enthält Kohlenstoff, der besonders leicht abgebaut wird. Ein Team um Hagedorn konnte in einem Projekt zeigen, dass dieser Abbauprozess gerade im Bereich der Waldgrenze relevant ist. Die Forschenden begasten ein Ökosystem an der Waldgrenze oberhalb von Davos mit CO2. Zur Markierung setzten sie spezielle Kohlenstoffisotope ein. Dadurch konnten sie verfolgen, wie sich die Stoffkreisläufe änderten. Es stellte sich heraus, dass alpine Ökosysteme, deren Böden besonders reich an Kohlenstoff sind, bei steigender Temperatur entsprechend viel CO2 freisetzen können. Dieser Vorgang hat mit dem menschengemachten Klimawandel bereits begonnen.
Um europaweite oder globale Schlussfolgerungen über CO2-Senken zu ziehen, benötigen Forscher standardisierte Messungen. Diese können anhand von Computermodellen auf grössere Gebiete hochgerechnet werden. Im europäischen Verbundprojekt «ICOS-Research Infrastructure» werden derzeit die Messinstrumente und die Datenverarbeitung vereinheitlicht eingerichtet. Offiziell wurde das Vorhaben 2015 ins Rollen gebracht. Nina Buchmann von der ETH Zürich koordiniert das Projekt in der Schweiz (ICOS-CH). Hierzulande sind zwei Messstandorte beteiligt: einer in einem Fichtenwald, ebenfalls bei Davos, einer an der Forschungsstation Jungfraujoch.
Unzuverlässige Wälder
Dass Wälder viel CO2 aufnehmen, ist durch langjährige Messreihen belegt. Im Wald bei Davos werden CO2-Flüsse eigentlich schon seit 1997 gemessen, wenn auch mit anderen Geräten, sagt Buchmann: «Das Ökosystem ist im gesamten Zeitraum eine CO2-Senke gewesen.» Das gleiche gilt aber nicht für jedes Waldstück in der Schweiz: Neuanpflanzungen zum Beispiel können zu Beginn eine Quelle für CO2 sein, weil der Boden viel Kohlenstoff verliert. Erst wenn die Bäume grösser sind und sich der Bestand schliesst, wird der Wald zur CO2-Senke. Je älter die Wälder, desto weniger steckt der Kohlenstoff aber im Boden und desto mehr in Holz und Blättern der Bäume, wie im Nationalen Forschungsprogramm «Ressource Boden» (NFP 68) herauskam.
Wird der Wald auch in Zukunft CO2 speichern? Buchmann sieht grundsätzlich zwei Faktoren der Ungewissheit: den Klimawandel und die Waldnutzung. Die Speicherfunktion könne durch starke Dürren ebenso beeinträchtigt werden wie durch eine Veränderung der Waldfläche und deren Nutzung.
Allerdings sind die Wälder weder die einzige noch die grösste Unsicherheit. Viele Forschende, zum Beispiel bei Agroscope, betrachten die Abnahme der Humusschicht durch die landwirtschaftliche Nutzung mit Sorge. Die sensibelsten Landgebiete mit natürlichen Kohlenstoffspeichern liegen global betrachtet allerdings im hohen Norden. Wie viel Treibhausgase Permafrostböden bei Erwärmung freisetzen – in diesem Fall auch das stark wirksame Treibhausgas Methan –, hängt vor allem davon ab, ob der Temperaturanstieg bei feuchten oder bei trockenen Bedingungen ablaufe, erklärt Hagedorn. Bei grosser Feuchtigkeit werden demnach grössere Mengen Methan frei, bei trockenen mehr CO2.
Expedition ins Südpolarmeer
Auch die Meere nehmen gewaltige Mengen CO2 auf. Die wichtigste marine CO2-Senke ist aktuell der Südliche Ozean, der sich rings um die Antarktis erstreckt. Im Dezember 2016 stach dort ein Schiff unter Leitung des von der EPFL koordinierten Swiss Polar Institute zu einer Forschungsfahrt in See, der internationalen Antarctic Circumnavigation Expedition (ACE).
Ein Projekt der Expedition studiert Kieselalgen. Von der Ernährung dieser Algen hängt die CO2-Aufnahme des Südlichen Ozeans massgeblich ab, denn Kieselalgen benötigen zum Wachsen CO2. Wenn sie sterben, sinkt mit ihnen ein Teil des chemisch gebundenen Kohlenstoffs in die Tiefe. Während der Expedition wollen die Forscher, unter ihnen Samuel Jaccard vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung an der Universität Bern, mit Flaschen Wasser aus verschiedenen Tiefen bis 1500 Metern herausholen und die Proben geochemisch im Labor untersuchen. Anhand solcher Daten soll ermittelt werden, wie und wie rasch der Kohlenstoff in die Tiefe verfrachtet wird.
Wie viel CO2 der Südliche Ozean aufnimmt, wird auch vom Wind beeinflusst, der die Meeresströmungen antreibt. Kaltes Wasser speichert CO2 gut, doch in der Vergangenheit wurde bei bestimmten Windverhältnissen CO2-reiches Tiefenwasser an die wärmere Oberfläche befördert, sodass der Südliche Ozean sogar CO2 freisetzte. Die natürlichen Schwankungen des Windes sind jedoch kaum bekannt. Um rekonstruieren zu können, wann der Südliche Ozean CO2 aufnahm oder freisetzte, versucht ein weiteres ACE-Projekt eine Rekonstruktion früherer Windbedingungen. Daran beteiligt ist der Direktor des Oeschger-Zentrums, Martin Grosjean.
Algen verraten den Wind
Während der Forschungsfahrt sollen Projektpartner von Grosjean auf mehreren der Antarktis vorgelagerten Inseln Bohrkerne von Sedimenten aus Seen bergen. Algen, die einst in den Seen lebten und heute als Fossilien in den Sedimenten stecken, verraten Grosjeans Labor, wie stark der Wind im Verlauf des Holozäns wehte.
Zur Rekonstruktion des Windes müssen komplexe Rückschlüsse gezogen werden: So beeinflusst die Windstärke den Salzgehalt der Inselseen. Kräftiger Wind treibt mehr Gischt in die Luft und Salz in den See als schwacher Wind. Das betrifft die Algen, erklärt Grosjean: «Algen sind unterschiedlich empfindlich gegenüber Salz.» Aus der Artenzusammensetzung der Algen in den Sedimenten lassen sich also der einstige Salzgehalt im See und schliesslich die damalige Windstärke ermitteln.
In den letzten Jahrzehnten, sagt Grosjean, ist der Wind rings um die Antarktis stärker geworden. Warum das passiert ist, weiss man noch nicht. Es kann am Ozonloch liegen, aber auch mit der globalen Erwärmung zusammenhängen. Insofern ist auch die Prognose schwierig, wie viel CO2 der Südliche Ozean in Zukunft speichern wird.
Mehrere Studien haben jedenfalls gezeigt, dass dort in den letzten Jahren ein bisschen mehr CO2 aufgenommen wurde als zuvor. In der Biosphäre an Land übrigens auch. Man kann sich jedoch nicht darauf verlassen, dass es so weitergeht. Um abschätzen zu können, welche Gefahr vom Ende der Speicherung ausgeht, müssen die Stoffkreisläufe noch genauer untersucht werden – sowohl an Land als auch zu Wasser.
Sven Titz ist freier Wissenschaftsjournalist.