«Für unangenehme Befunde gibt es keinen optimalen Zeitpunkt»
Seine Forschungsarbeiten zu Einbürgerungen an Gemeindeversammlungen und zur Arbeitsmarktintegration Asylsuchender haben Dominik Hangartner viel mediale Aufmerksamkeit beschert. Der Migrationsexperte nimmt dies relativ gelassen.
Wie ist es, als Forscher mit politisch kontroversen Themen in der Öffentlichkeit zu stehen?
Mir ist bewusst, dass wir zu kontrovers diskutierten Themen forschen, zum Beispiel wie lang es bis zur Einbürgerung dauern soll. Andere Policys sind jedoch erstaunlich wenig kontrovers, zum Beispiel wenn es um die positiven Konsequenzen kürzerer Asylverfahren geht. Es ist in einer Demokratie wichtig, politisch unabhängig aufzuzeigen, welche Vor- und Nachteile verschiedene Politiken haben. Wir versuchen mit unserer Forschung in einem emotionsgeladenen Bereich kühle Analysen und Instrumente zur Verfügung zu stellen, um eine faktenbasierte Meinungsbildung zu ermöglichen. Mit der Sichtbarkeit von Migrationsthemen in vielen Ländern in Europa und darüber hinaus ist auch das Interesse an unserer Arbeit in den letzten Jahren gestiegen.
Wie gehen Sie damit um, wenn Ihre Resultate von der Politik vereinnahmt werden?
Als Forscher habe ich zwei Aufgaben. Erstens saubere Analysen zu erstellen, herauszufinden, was Ursache und was Wirkung ist. Wenn wir zum Beispiel ein Asylverfahren um zwei Monate verkürzen, dann beginnen Flüchtlinge früher zu arbeiten, das kostet den Staat unter dem Strich weniger und fördert die Integration. Die zweite Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die Resultate so verstanden werden, wie wir sie berechnet haben. Nicht nur von Experten, sondern auch von den Laien, die unsere Forschung über ihre Steuergelder finanzieren. Je besser uns das gelingt, desto kleiner ist der Raum für Fehlinterpretationen. Wir können Vorschläge für eine bessere Integrationspolitik machen. Wie diese umgesetzt werden, hängt von Politikern, der Verwaltung und der Stimmbevölkerung ab.
Haben Sie sich auch schon überlegt, Resultate nicht oder zu einem anderen Zeitpunkt zu publizieren, weil sie falsch verstanden werden könnten?
Diese Frage gehört zu den Tabuthemen unter den Forschenden. Für unangenehme Befunde gibt es selten einen optimalen Zeitpunkt. Persönlich war ich noch nie in so einer Situation. Ich denke, ich habe eine relativ dicke Haut.
Dennoch gibt es immer – mehr oder weniger heftige – Reaktionen. Lesen Sie die Kommentare in den sozialen Medien?
Manchmal. Das ist aber nicht unbedingt ein sinnvoller Zeitvertreib.
Wo stehen Sie im politischen Spektrum?
Sicher spielt meine Biografie eine Rolle für mein Interesse an Migrationsthemen. Das hat aber keinen Einfluss auf den wissenschaftlichen Prozess. Ich will verstehen, was funktioniert und was nicht. Die Analyse selbst ist ein neutraler Vorgang. Ich habe keine Anreize, etwas zu beschönigen.
Sollten Sie sich mehr in die öffentliche Debatte einmischen?
Ich forsche mitten in der Gesellschaft. Dazu gehört, die Resultate allen zu kommunizieren, die betroffen sind. In unserem Fall sind dies alle Akteure im Bereich Migration. Wir suchen den Austausch auch gezielt. Die Resultate zur Arbeitsmarktintegration haben wir im Europaparlament präsentiert und den Ländern gezeigt, wie sie Daten für weitere Studien bereitstellen können.
Ihre Projekte sind sehr international. Können Sie dadurch unabhängiger bleiben, obwohl Sie Schweizer sind?
Das hilft sicher. Fest steht aber, dass, was für die Schweiz relevant ist, auch im Ausland interessiert. An den Resultaten zur Beschleunigung der Asylverfahren waren viele europäische Länder interessiert. Wir wurden etwa um eine Einordnung für den finnischen Kontext gefragt. Die Öffentlichkeitsarbeit sorgt für viele Anfragen aus dem Ausland. Wir können teilweise dabei helfen, Druck aufzubauen, damit Forschende Zugang zu Daten der jeweiligen Länder erhalten, die vorher unter Verschluss waren.
Pascale Hofmeier ist SNF-Wissenschaftsredaktorin.
- Europäer bevorzugen junge, christliche, weibliche und gut gebildete Flüchtlinge. Muslime hingegen sind eher unbeliebt. Dies hat eine Umfrage bei 18 000 Personen in 15 europäischen Ländern ergeben. Science (2016)
- Obwohl Flüchtlinge in der Schweiz während des Asylverfahrens eine Stelle antreten dürfen, verschlechtert eine lange Wartezeit ihren Berufseinstieg. Science Advances (2016)
- Migrantinnen und Migranten integrieren sich langfristig besser, wenn sie eingebürgert werden. PNAS (2015)