Ist es sinnvoll, das Anthropozän auszurufen?
Die Spezies Mensch hat einen grossen Einfluss auf den Planeten. Die International Union of Geological Sciences hat deshalb die Einführung der neuen Epoche Anthropozän empfohlen. War das eine gute Idee?
Mit dem Ende der letzten Eiszeit vor 11 700 Jahren beginnt die Epoche des Holozäns. Die Weltbevölkerung wuchs in der Folge stark an und hat in den letzten Jahrzehnten damit begonnen, das System Erde in kurzer geologischer Zeit so einschneidend zu verändern, dass die Grenzen der Lebensgrundlage der Spezies Mensch wohl bald erreicht werden.
Es ergibt deshalb Sinn, mit dem Anthropozän eine neue Epoche auszurufen: Wie viele andere geochronologische Einheiten wird diese Epoche durch ein Massenaussterben eingeleitet, das durch menschliches Zutun bereits begonnen hat. Durch nukleare Experimente wurden Radionuklide freigesetzt, die es in den vorangehenden 4,6 Milliarden Jahren Erdgeschichte nicht gegeben hat. Die Nutzung der Millionen Jahre alten fossilen Brennstoffe führt zu einer Menge an Treibhausgasen, die zwar in der Erdgeschichte nichts Einmaliges ist. Aber sowohl die Geschwindigkeit der Veränderung als auch die Tatsache, dass eine einzige Spezies deren Auslöser ist, bleibt bisher unerreicht. In gewissen Gegenden hat durch die Landwirtschaft bedingte Bodenerosion zur Ablagerung von dicken Tonschichten geführt, die sich eindeutig vom „natürlichen“ Sediment unterscheiden. Der „Maya-Ton“ im zentralamerikanischen Regenwald reflektiert diesen Einfluss einer Hochkultur eindrücklich. Damit alle Wissenschaftler die gleiche Sprache sprechen, muss die internationale stratigrafische Kommission auch diese Epoche genau definieren. Dass es unter den jüngeren geologischen Ablagerungen verschiedene mögliche Anfänge des Anthropozäns gibt, ist wegen der verschiedenen Sediment bildenden Prozesse nicht erstaunlich. Welche charakteristische, durch den Mensch geprägte Schicht und welcher zeitliche Beginn die Kommission schliesslich wählt, ist deshalb sekundär.
Die stratigrafische Markierung des Anfangs des Anthropozäns ist nicht nur symbolisch bedeutsam. Denn die Epoche wird für neue Zustände des Systems Erde stehen, die auch die signifikanten Trends in den Zeitreihen zahlreicher Messgrössen erklären. Die markanten Verschiebungen in den geologischen Ablagerungen zeigen deutlich, dass es sich dabei nicht um ein kurzzeitiges Phänomen handelt. Das Anthropozän wird sich in Bezug auf die Dauer nicht hinter dem Holozän verstecken müssen. Der Mensch wird im Anthropozän eine Schlüsselrolle gespielt haben, und er wird künftigen Arten als Leitfossil der stratigrafischen Einordnung dienen.
Flavio Anselmetti ist Professor für Quartärgeologie und Paläoklimatologie an der Universität Bern. Zuvor war er Leiter der Sedimentologie am Wasserforschungsinstitut Eawag in Dübendorf.
Das Anthropozän ist ein sinnvolles politisches Konzept. Trotzdem braucht es weder eine formelle Definition noch einen stratigrafischen Referenzpunkt ("Golden Spike"). Mit dem allgemeinsprachlichen Begriff "Anthropozän" anerkennen wir den menschliche Einfluss auf die Prozesse im System Erde, der ebenso stark ist wie Veränderungen der Erdumlaufbahn oder die Plattentektonik. Wichtig ist, dass wir uns der globalen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten bewusst sind, die in der geologischen Zeitskala tatsächlich zu irreversiblen Veränderungen in Ökosystemen, Landschaften und beim Klima führen können. Hingegen wäre das "Anthropozän" als offiziell anerkanntes Erdzeitalter ohne den nötigen zeitlichen Abstand nicht nur schwierig zu definieren, sondern vollkommen unnötig.
Die geologische Zeitskala ist eine Errungenschaft des 19. Jahrhunderts. Inzwischen wurde sie in Wissenschaft und Bildung aber weitgehend durch die absolute radiometrische Datierung ersetzt. Ohne Methoden zur absoluten Datierung erdgeschichtlicher Ereignisse mussten frühe Geologen davon ausgehen, dass Gesteinsschichten mit ähnlichen Fossilien etwa zur gleichen Zeit abgelagert worden waren. Die erste geologische Zeitskala mit den noch heute verwendeten Epochen war 1850 bereits entwickelt. Markiert werden geologische Erdzeitalter an einem Refere nzort mit einem "Golden Spike", also sprichwörtlich mit einem Nagel oder einer anderen physischen Kennzeichnung bei den entsprechenden Gesteinsschichten. Die aktuelle Debatte über die Definition eines offiziellen Anthropozäns dreht sich daher zu einem guten Teil darum, wo der "Golden Spike" für den Auftakt unserer Epoche zu platzieren wäre.
Es bleibt: Die moderne Fach- und selbst die Populärliteratur bezieht sich in der Regel nicht auf stratigrafische Epochen, wenn Ereignisse beschrieben werden – ausser vielleicht in einem einleitenden Satz. Abgesehen von Geologiestudenten kennt kaum jemand Reihenfolge und Dauer der verschiedenen geologischen Epochen auswendig. Trotzdem ist für alle offensichtlich, dass das Aussterben der Dinosaurier vor rund 65 Millionen Jahren, lange vor der Entwicklung des modernen Menschen etwa 200 000 Jahre vor unserer Zeit, stattfand.
Abgesehen von der schwierigen Perspektive: Wie können wir eine Epoche definieren, in der wir gerade leben und für die ein klarer Endpunkt fehlt? Das Konzept der Epoche Anthropozän ist in der modernen Wissenschaft völlig überflüssig. Auch ohne Anthropozän können wir den schrittweisen Einfluss der Menschen auf das System Erde von unseren Anfängen bis zur Gegenwart genau bestimmen.
Jed O. Kaplan ist Professor am Institut des dynamiques de la surface terrestre der Universität Lausanne. Er erforscht Umweltgeschichte und Interaktionen zwischen Menschen, Landnutzung und Klima.