Sprechen vous English?
Wenn Deutsch oder Französisch auf dem Studiengang steht, ist immer öfter auch Englisch drin. Viele Hochschulen sehen dies als Schicksal. Es könnte aber anders sein.
Der Psychologieprofessor aus Deutschland lehrt an der Universität Genf im Bachelor – auf Englisch. Der Studiengang Kunstgeschichte wird laut Webseite der Universität Zürich in der Unterrichtssprache Deutsch durchgeführt, und doch taucht ein englischer Kurs auf. Mit der globalisierten Forschung kommt eine wissenschaftliche Elite in die Schweiz, die Studentinnen und Studenten auf Englisch unterrichtet. Meist ist es nicht die Muttersprache der Dozenten. Tendenz steigend, das bestätigen Hochschulen in Basel, Bern, Genf und Zürich auf Anfrage. Statistiken, wie gross der Anteil Englisch unterrichteter Kurse auf Bachelor- und Master-Stufe ist, gibt es keine.
Die Etikette kann täuschen
Englisch als Unterrichtssprache könne eine weitere Schwierigkeit im Studium sein, findet Josef Stocker vom Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS): «Für Studienanfänger ist die Sprache eine zusätzliche Hürde.» Diese sei nicht unüberwindbar, und in vielen Fächern sei Englisch als Unterrichtssprache auch sinnvoll. Selber Student der Mathematik sieht er die Notwendigkeit klar, sich auch im internationalen Umfeld verständigen zu können. Dennoch sei mit der Unterrichtssprache Englisch für viele Studierende zusätzlicher Lernaufwand verbunden, sagt Stocker. «Mehr Transparenz seitens der Hochschulen darüber, wie hoch der Anteil an englischsprachigen Veranstaltungen ist, wäre wünschenswert.» Heute würden teilweise Reglemente missachtet, weil das Personal fehle, um in der Landessprache zu unterrichten, sagt Stocker. Auch wäre es hilfreich, wenn die Hochschulen Studierende aktiv dabei unterstützen würden, das notwendige Sprachniveau zu erreichen.
Die Reglemente, Weisungen und Sprachpolitiken der Hochschulen fallen sehr unterschiedlich aus und oft auch vage. Eine Weisung der ETH Zürich aus dem Jahr 2010 hält fest, dass die Unterrichtssprache im Bachelor grundsätzlich Deutsch ist – aber auch Englisch oder Französisch sein kann und je nach Studienreglement «festgeschrieben» werden kann. Die EPFL schreibt auf ihrer Webseite: Unterrichtet wird auf Französisch und Englisch, wobei im ersten Bachelor-Jahr hauptsächlich auf Französisch doziert wird. Ab dem zweiten Jahr können bis zu 50 Prozent der Kurse Englisch sein, heisst es weiter. Abhängig vom Curriculum des jeweiligen Angebots ist das Master-Studium mehrheitlich Englisch, mehrheitlich Französisch oder eben bilingue. An der Universität Basel wird im Bachelor «mehrheitlich Deutsch» unterrichtet. Und an der Universität Zürich bestimmen die Fakultäten selber.
Grosse Unterschiede bestehen je nach Fachbereich. In den Naturwissenschaften, Life-Sciences und Sozialwissenschaften führt kein Weg mehr an Englisch vorbei und auch in den Geisteswissenschaften immer weniger. Pessimisten befürchten darum eine Verarmung der Wissenschaft durch die einheitliche Sprache, Optimisten sehen in einer Lingua franca der Wissenschaft eine Chance auf universelle Verständigung.
Ohne Englisch geht's nicht, sagt Gerd Folkers, Präsident des Schweizerischen Wissenschafts- und Innovationsrates (SWIR): «Studierende müssen Quellen und Artikel im Original lesen können.» Er unterstützt die Forderung nach einem transparenteren Umgang mit den Unterrichtssprachen an den Schweizer Universitäten: «Es wäre zentral, die Spielregeln bekanntzugeben.» Er rät anstelle von Zufallsentscheiden zu einem bedachten Umgang mit der Fremdsprache: «Es geht um das Mass und darum, eine adäquate Sprache für die Inhalte zu finden.»
Damit spricht er eine für die Wissenschaft zentrale Unterscheidung an: Viele wissenschaftliche Inhalte werden relativ unabhängig von sprachlichen Konstruktionen beschrieben, in einer sogenannten Theoriesprache. Deutlich wird dies in sehr formalisierten Wissenschaften wie zum Beispiel der Mathematik. Diese Inhalte wiederum werden in einer Sprache unterrichtet, diskutiert oder berichtet – Deutsch, Französisch oder eben Englisch. Folkers, der Chemie an der ETH Zürich unterrichtet, illustriert dies folgendermassen: «Wenn ich in der Deutschschweiz auf Englisch über die biochemische Wirkung von neuen Antibiotika doziere, ist das kein Problem, denn ich verwende die Theoriesprache. Spreche ich aber über deren mögliche Anwendung in der Schweinemast und die problematischen Folgen für die Menschen, ist Deutsch unter Umständen die bessere Sprachwahl, weil sich komplexe interdisziplinäre Sachverhalte in der Muttersprache besser im Gehirn ordnen.»
Geplante Mehrsprachigkeit
Gerd Folkers plädiert darum für einen bewussteren Umgang mit der Mehrsprachigkeit. Englisch habe sich als Minimalkonsens durchgesetzt: «Aber ist ausgerechnet eine Hochschule der Ort, an der man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen sollte?» Mutig wäre aus seiner Sicht, über Sprachkurse, -gruppen und Tutorien einerseits die Sprachkenntnisse in Englisch zu verbessern, andererseits die Mehrsprachigkeit zu pflegen, um wissenschaftliche Diskurse in der jeweiligen Erstsprache zu fördern. Denn: Wie gut kann der Biologe, der in seinem Fachgebiet hauptsächlich auf Englisch unterrichtet wurde, an der Gemeindeversammlung das Naturschutzprojekt auf Deutsch oder Französisch erklären?
Linguistikprofessorin Rita Franceschini hingegen fordert ein Umdenken. «Ich wünschte mir eine dynamischere Entwicklung, eine echte Mehrsprachigkeit.» Statt Englisch als Problem zu betrachten, sollten die Universitäten die Mehrsprachigkeit bewusster planen.
Anstelle von einer Sprache zu einem Zeitpunkt sollen Konzepte und Begriffe wenn möglich in mehreren Sprachen parallel eingeführt werden, zum Beispiel auf Englisch und in einer Landessprache. Denn: «Absolut einsprachiger Unterricht ist nicht mehr haltbar», ist Franceschini überzeugt. Durch die internationale Mobilität würden Sprachbiografien vielfältiger. Und damit meint sie nicht nur Englisch, das oft die Zweitsprache der Unterrichtenden ist: Wenn der Professor oder die Professorin Wurzeln in der italienischen Schweiz hat, in Deutschland aufgewachsen ist und in England studiert hat, kann er oder sie unter Umständen besser auf Englisch argumentieren als auf Deutsch oder Italienisch. Sprache sei das Mittel, um neues Wissen zu vermitteln. «Die Frage ist, wie man Studierende dazu bringt, sich dieses Wissen anzueignen», sagt Franceschini. Ein Weg sei, an vorhandenes Wissen anzuknüpfen. Dies könne auf Englisch oder in einer Landessprache gelingen – abhängig von der Kompetenz der unterrichtenden Person. «Das sollte stärker berücksichtigt werden als das Sprachkonzept einer Universität.»
Eine Landessprache als Pflicht?
Franceschini unterrichtet an der Universität in Bozen, im Norden Italiens. Das Sprachkonzept der Universität nimmt Rücksicht auf den dreisprachigen Kulturraum: Deutsch, Italienisch und Ladinisch. Professorinnen und Professoren werden mit finanziellen Anreizen motiviert, Deutsch oder Italienisch zu lernen, «zumindest als Alltagssprache», damit sie die Studierenden abholen können. «Auch an den Schweizer Universitäten wären solche Sprachkonzepte wünschenswert», sagt Franceschini. Die Realität ist jedoch eine andere, trotz Viersprachigkeit. Erst wenige Hochschulen haben ein Sprachkonzept, das den Umgang mit den Landessprachen und mit Englisch regelt; eine ist die Universität Genf. Und auf die Frage, ob Professorinnen und Professoren aus dem Ausland eine der Landessprachen lernen sollten, ist die Antwort föderalistisch: Das entscheidet jede Universität selber.
Pascale Hofmeier ist Wissenschaftsredaktorin des SNF.