Viren: Lästig für Tiere, tödlich für Menschen
Kamele und Fledermäuse sind ein Reservoir für Viren. Durch häufige Mutationen entstehen dort immer wieder für Menschen tödliche Krankheitserreger.
Kamele sind unentbehrliche Lastenträger in der Wüste. Doch die beliebten Tiere sind wegen gefährlicher Erreger zu einer unberechenbaren Bedrohung für den Menschen geworden. In ihren Atemwegen befinden sich Coronaviren, die beim Menschen fatale Lungenentzündungen hervorrufen. Seit im Sommer 2012 die ersten Fälle vom Middle East Respiratory Syndrome (MERS) registriert worden sind, haben sich in Saudi-Arabien bis Juni 2017 insgesamt 1642 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. 41 Prozent davon starben an der vom Tier auf Menschen übertragbaren Krankheit – genannt Zoonose.
«Dieses Coronavirus ist eine typische Zoonose, wie sie in den letzten Jahren immer wieder zu beobachten war», sagt Volker Thiel, Professor für Virologie an der Universität Bern und Leiter der Abteilung Virologie des Bundesinstituts IVI. Viele Krankheitserreger zirkulieren oft unauffällig in Tieren, denen sie nichts anhaben. Ab und an kommt es zu einem zufälligen Sprung auf eine andere Art, zum Beispiel den Menschen. Die teils heftigen Reaktionen enden für den neuen Wirt im schlimmsten Fall tödlich. Ebola, SARS, MERS oder Zika sind die letzten Fälle in einer langen Reihe von Zoonosen. Tollwut, Pest, Aids und Vogelgrippen zeugen von früheren Zoonosen.
Diversität fördert Übertragung
Volker Thiel war ein gefragter Mann, als im Winter 2002 in Südchina schwere Fälle der neuen Lungeninfektion Severe acquired respiratory Syndrome (SARS) auftraten. Er war unter den ersten, die Virenisolate von Patienten erhielten und sequenzieren konnten. Innert kürzester Zeit konnten Epidemiologen ein Coronavirus als Erreger identifizieren. Durch den Vergleich mit dem Erbgut harmloser Viren fanden die Forschenden Mutationen, die für den Sprung auf den Menschen nötig waren. «Essentiell sind Oberflächenmoleküle, die fest an die Andockstellen der menschlichen Lungenzellen binden können», sagt Thiel. Zudem zeigte sich, wie sie Signale des Immunsystems abschwächen.
«In einer Blutprobe aus Tieren oder Menschen befinden sich Tausende von einzelnen Viren, die sich alle leicht unterscheiden», sagt Thiel. Die hohe Mutationsrate erleichtert Artensprünge, denn die vielen Varianten erhöhen die Chance eines Virus, der eine neue Art befallen kann. Andererseits erklärt die Variabilität ein Phänomen, das oft zu beobachten ist: Nach den ersten heftigen Infektionen passt sich das Virus meist an und schwächt sich ab, denn es nützt seiner Weiterverbreitung nichts, wenn es seinen Wirt tötet. «Diese Abschwächung konnten wir bei SARS oder auch bei Ebola-Ausbrüchen verfolgen», sagt Thiel.
Im Fall von SARS sind die Coronaviren höchstwahrscheinlich von Schleichkatzen auf Menschen übergesprungen, vermutlich beim Schlachten der als Delikatesse geltenden Tiere. Coronaviren kursieren in vielen Tieren, hauptsächlich aber in Fledermäusen und Nagetieren, wie ein internationales Forscherteam um Simon Anthony von der Columbia University in New York kürzlich nachgewiesen hat. Teams in 20 Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens haben in einem mehrjährigen Projekt Fledermäuse, Nagetiere und Affen untersucht. Die Forschenden analysierten Gewebsproben auf Virenerbgut und fanden in zehn Prozent der untersuchten Fledermäuse Coronaviren, bei Nagern und Affen waren es weniger als ein Prozent. Auch die Diversität der Coronaviren war bei Fledermäusen weitaus am grössten. «Fledermäuse sind das wichtigste Reservoir für Coronaviren», folgert Anthony.
Ein Grund dafür liegt im robusten Immunsystem der Fledermäuse, das die viralen Bewohner in Schach halten kann. Ein weiterer in den grossen Sozialverbänden, in denen zum Teil Millionen von Tieren in engem Kontakt beieinander leben, was den Austausch von Viren begünstigt. Zudem ist die Gruppe der Fledermäuse selbst ausserordentlich gross und vielfältig. Indem der Mensch in unbewohnte Gebiete vorstösst, zum Beispiel in die Regenwälder Afrikas und Südostasiens, eröffnen sich Viren neue Chancen zur Verbreitung.
Eine Erkältung aus Kamelen
Aufwendige Probensammlungen in den Urwäldern Zentralafrikas haben ergeben, dass im Fall von Ebola Flughunde die Quelle des hochgefährlichen Virus sind. Auch SARS und MERS stammen aus Fledermäusen, denn nahezu identische Viren wurden in diesen Tieren gefunden. «Wir gehen davon aus, dass das MERS-Virus in der Vergangenheit von Fledermäusen auf Kamele gesprungen ist, wo es sich mittlerweile etabliert hat», sagt Thiel. Von dort springt es nun regelmässig auf Menschen, die sich in der Nähe der Tiere befinden. Wie Thiel und seine Mitarbeiter zeigen konnten, weist auch das MERS-Coronavirus oberflächliche Moleküle auf, die gut an Lungenzellen binden. Derartige Wirtswechsel vom Kamel zum Menschen hat es offenbar schon in ferner Vergangenheit vor Hunderten von Jahren gegeben. In Zusammenarbeit mit Christian Drosten in Berlin, dem renommierten Virologen und Co-Entdecker des SARS-Virus, hat Volker Thiel kürzlich Coronaviren bei Kamelen gefunden, die mit einem heutigen Erkältungsvirus des Menschen eng verwandt sind.
Die Vermutung liegt nahe, dass dieses Virus beim einstigen Wirtssprung auf den Menschen auch zu tödlichen Infektionen geführt hat und sich im Lauf der Zeit abgeschwächt hat. Vergleiche des Coronavirus aus dem Kamel mit dem Erkältungsvirus im Menschen liefern erste Hinweise über die genetischen Anpassungsschritte. «Wir sehen Unterschiede im Erbgut, verstehen ihre Bedeutung aber noch nicht», so Thiel.
Fledermäuse sind nicht die einzigen Träger hochgefährlicher Erreger. Im Austausch zwischen Schweinen, Vögeln und Menschen kommt es regelmässig zur Bildung hochgefährlicher Stämme. Neue Influenzaerreger aus Schweinen (H1N1) oder Wasservögeln (H5N1) werden von Virologen deshalb strikt überwacht. Christian Griot, Direktor des Institus für Virologie und Immunologie des Bundes (IVI), sieht mit Blick auf diese Influenzaviren am meisten Risiken. Ein solches Virus könne sich in kurzer Zeit weltweit ausbreiten.
Das ist beim MERS verursachenden Coronavirus noch nicht der Fall. Aber das kann ändern. Jede Infektion des Menschen bietet dem Virus von neuem Gelegenheit, sich besser anzupassen und die oberen Lungenwege zu infizieren, was ihm zurzeit noch schwerfällt. «Würde es sich leichter von Mensch zu Mensch verbreiten, müssten wir eine weltweite Pandemie mit sehr vielen Opfern befürchten», sagt Volker Thiel. Es wird immer schwieriger, Ausbrüche zu verhindern: Unterdessen hat sich das MERS-Virus in Kamelen fest auf der arabischen Halbinsel etabliert. Die stolzen Wüstenschiffe sind eine tickende Zeitbombe.
Stefan Stöcklin ist Redaktor an der Abteilung Kommunikation der Universität Zürich.
E. Kindler et al.: Early endonuclease-mediated evasion of RNA sensing ensures efficient coronavirus replication. EPLoS Pathog (2017)
V. M. Corman et al.: Link of a ubiquitous human coronavirus to dromedary camels. PNAS (2016)