«Die Stimme der Akademien ist die Stimme der Wissenschaft»
Als Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz will Antonio Loprieno den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft fördern.
Herr Loprieno, die Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Fakten wächst. Was werden Sie dieser Entwicklung als Präsident der Akademien entgegensetzen?
Die Rolle als Präsident ist dafür prädestiniert, sich mit diesem Riss auseinanderzusetzen. Wenn die Akademien eine primäre Funktion haben, dann ist es der Brückenbau zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Die Stimme der Akademien ist jene der Wissenschaft an sich. Das macht es umso wichtiger, den Dialog mit der Öffentlichkeit zu fördern und die Deutungshoheit der Wissenschaft glaubwürdig zu vertreten.
Wie schätzen Sie den Einfluss der Akademien auf gesellschaftliche Debatten ein?
Das ist eine heikle Frage. Ich glaube, das fällt den Akademien nicht immer leicht. Dies aufgrund einer Stärke, die in diesem Fall als Schwäche wirkt: ihre Vielfalt als Dachorganisation mit verschiedenen fachlichen Kulturen. Diese Vielfalt sichert uns die Nähe zur Wissenschaft. Sie ist aber weniger geeignet, um Anliegen öffentlich zu vertreten. Als Ganzes könnte man mehr erreichen.
Was wäre eine Massnahme, um die Brücke zu bauen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft?
Die Akademien sollten so oft wie möglich mit einer Stimme sprechen. Wenn sich der Begriff «Akademien der Wissenschaften Schweiz» in der Öffentlichkeit, in der Politik oder in den sozialen Medien als «Marke» etablierte, wäre dies eine geeignete erste Massnahme, um die schon geleistete Arbeit sichtbarer zu machen. Dafür ist jedoch die Bindung an die wissenschaftliche Basis zentral. Das ist der Spagat eines Präsidenten.
Die Akademien sind nach eigenen Angaben das grösste und zugleich kostengünstigste wissenschaftliche Netzwerk der Schweiz. Braucht es also
eine Professionalisierung?
Das Wort Professionalisierung hat in der akademischen Welt eine gute und eine schlechte Konnotation. Wenn Professionalisierung im Sinn von Vereinheitlichung gemeint ist, die dazu beiträgt, die gemeinsamen Interessen verschiedener Stakeholder zu vertreten, dann sicher. Wenn hingegen der Aufbau einer Verwaltung gemeint ist, die bestehende Formen der Wissenschaftsförderung dupliziert, dann nicht. Die Akademien sollen primär wissenschaftliche Anliegen unterstützen, die nicht durch andere Institutionen gefördert werden.
Zum Beispiel?
Interdisziplinarität. Sie ist schwierig zu fördern. Die Akademien sind dafür die beste und auch die prädestinierte Struktur. Für arrivierte Wissenschaftler ist es einfacher, sich auf das Terrain der Interdisziplinarität zu wagen, als für junge Forschende, die eine Karriere aufbauen müssen.
Welche weiteren Bereiche sind Ihnen ein Anliegen?
Die Digitalisierung. Mich bewegt in dieser Frage der Kulturwandel. Dieser ist vergleichbar mit dem Wandel in der Renaissance durch den Buchdruck. Unser bisheriges Wissen war das Wissen von Individuen, zum Beispiel Professoren, die erzählen, was die Studierenden noch nicht wissen. In der digitalen Gesellschaft sind wir mit sozialem Wissen konfrontiert, das die Autorenschaft in Frage stellt. Wikipedia zum Beispiel ist solch verdichtetes Wissen, das viele Autoren hat. Das ist ein radikaler Wandel.
Und was reizt Sie an Ihrer neuen Aufgabe?
In der Doppelfunktion als Präsident der Schweizer Akademien und der All European Academies (ALLEA) habe ich erstens das wissenschaftspolitische Privileg, unsere Wissenschaft auf europäischer Ebene mit zu repräsentieren. Zweitens finde ich es als Wissenschaftler interessant, die Einbindung der Wissenschaft in den gesellschaftlichen Diskurs mitzugestalten. Ein dritter Aspekt ist die Institutionalisierung: Die Akademien haben als Fachgesellschaften sehr unterschiedliche Kulturen, die zu kombinieren eine schöne Aufgabe darstellt.
Gibt es bei den Akademien einen Verjüngungsbedarf?
Ein entsprechendes Projekt besteht ja. Auch als ALLEA-Präsident würde ich eine Verjüngung der Akademien in Europa begrüssen. In einer Zeit, in der Nachwuchsförderung grossgeschrieben wird, kann es nicht sein, dass die Akademien ein Altherrenklub bleiben. Wir müssen unbedingt für jüngere Forschende attraktiver werden.
Pascale Hofmeier ist SNF-Wissenschaftsredaktorin.