DNA-Jäger im Dienste des Artenschutzes
Einheimische Frösche und Molche werden von invasiven Arten und zerstückelten Lebensräumen bedroht. Genetische Methoden helfen, ihre Situation besser zu verstehen.
Naturschutz ist eine Knochenarbeit. Forschende müssen ins Feld, um dort in trüben Tümpeln, irgendwo zwischen den Wasserpflanzen zum Beispiel einen Kammmolch zu finden. «Derart scheue Arten lassen sich mit reiner Feldbegehung nur schwer ausfindig machen», sagt Benedikt Schmidt, Experte bei der Koordinationsstelle für Amphibien und Reptilienschutz in der Schweiz. Aus den spärlichen Sichtungen solcher Feldbegehungen müssen er und seine Kollegen Rückschlüsse über Verbreitung oder Wanderungen
von Tieren ziehen.
Nun soll diese Arbeit dank den Methoden aus der molekularen Genetik um einiges leichter und zuverlässiger zu werden. Sie machen das Unsichtbare sichtbar und das Unzählbare zählbar. Vor allem bei den Amphibien werden verschiedene genetische Verfahren bereits eingesetzt.
Um die Vielfalt der Amphibien in einem Gewässer zu bestimmen, wird fortan nichts weiter als eine Wasserprobe benötigt. Frösche oder Molche geben über ihre Haut ständig Zellen oder Sekrete ab. Diese enthalten Fragmente des Erbguts. Diese Umwelt-DNA (englisch: eDNA) lässt sich inzwischen zuverlässig im Wasser nachweisen.
Die Menge des Erbguts ist dabei unvorstellbar klein. «Am Ende nimmt man weniger als ein Schnapsglas voll mit ins Labor. Da ist natürlich nicht sehr viel DNA drin. Das heisst, man muss im Labor besonders sauber arbeiten», sagt Schmidt, der auch an der Universität Zürich forscht. Die Arbeit lohnt sich: Mit den genetischen Methoden kann die Artenvielfalt in den Schweizer Weihern zuverlässiger erfasst werden.
Fremde Frösche finden
Die Einsatzmöglichkeiten erstrecken sich weit über blosse Bestandesaufnahmen hinaus. Bei der Überwachung des Vorrückens invasiver Arten brachte die Naturschutzgenetik Klarheit. Zum Beispiel bei der Gattung der Wasserfrösche. Viele Populationen der Schweiz sind nicht mehr rein, sondern bestehen aus Hybriden zwischen heimischen und eingeschleppten Arten. Manchmal befinden sich gar nur noch eingeschleppte Individuen in einem Gewässer. Sie ähneln einander jedoch so sehr, dass sie von blossem Auge nicht auseinandergehalten werden können.
«Es handelt sich um eine schleichende Einwanderung, von der wir zwar schon lange wussten, deren Ausmass uns aber nicht bekannt war. Untersuchungen der eDNA zeigen, dass nur noch in einem Drittel aller Schweizer Gewässer rein einheimische Bestände leben», sagt Schmidt. Jetzt können Behörden ihre Schutzmassnahmen dort konzentrieren, wo sie den heimischen Arten etwas bringen, anstatt ungewollt die Ausbreitung von invasiven Arten fördern.
Mit Naturschutzgenetik lassen sich nun auch zuverlässigere Aussagen darüber machen, wie stark sich Tiere in ihrem Lebensraum bewegen. «Beim Artenschutz ist es wichtig zu wissen, wie gut die einzelnen Populationen miteinander vernetzt sind», sagt Janine Bolliger, Landschaftsökologin an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Je mehr die Individuen einander begegnen, desto durchmischter sind auch ihre Gene. «Besonders bei kleinen, fragmentierten Populationen gibt es irgendwann Inzucht und genetische Verarmung, was bis zu deren Aussterben führen kann», so Bolliger.
Bergmolch überwindet Autobahn
Um die Vernetzung zu erfassen, braucht es jedoch mehr als nur eine Gewässerprobe, sagt Rolf Holderegger. Er ist Leiter der Forschungseinheit Biodiversität und Naturschutzbiologie an der WSL. Dort arbeitet er seit über zwanzig Jahren mit Naturschutzgenetik. «Man nimmt dazu etwa einen Abstrich aus der Mundschleimhaut eines Froschs. Danach werden zwischen 10 und 15 Stellen auf der DNA untersucht», sagt Holderegger.
Solche Untersuchungen legen erstmals offen, wie gross der Austausch zwischen Populationen ist. «Wir können herausfinden, wer wohin gewandert ist», sagt die Landschaftsökologin Bolliger. Wenn ein Molch oder ein Frosch auf Wanderschaft geht, zeugt er unterwegs Nachkommen. Auf diese Weise hinterlässt er eine Art genetische Schleimspur, die sich quer durch die Landschaft zieht.
So lässt sich beispielsweise untersuchen, ob Strassen für Amphibien unüberwindbare Hindernisse sind und sie die Überlebenschance der Populationen verschlechtern. In einer Studie in der Umgebung von Aarau haben Bolliger und ihre Kollegen Abstriche von 2000 Bergmolchen in über 100 Tümpeln genommen.
Erstaunlicherweise gaben die genetischen Analysen in diesem Fall Entwarnung. «Zwar waren die Tiere, die in der Stadt lebten, genetisch klar verschieden von denen ausserhalb der Stadt, doch es gab zwischen beiden einen fliessenden Übergang», sagt Bolliger. Das heisst, Bergmolche bewegen sich erfolgreich von einer zur anderen Seite der Autobahn, vermutlich durch kleine Durchlässe oder Unterführungen.
Genetikset für Umweltbüros
Trotz der neuen Möglichkeiten scheuten sich bis anhin viele Umweltbüros und kantonale Naturschutzämter vor der Genetik – sei es, weil die Verfahren bis vor wenigen Jahren noch nicht serienreif waren oder weil die Mitarbeitenden einfach noch nie mit Genetik zu tun hatten. Robert Meier vom Ostschweizer Umweltbüro Arnal will die Berührungsängste abbauen. Dazu hat er zusammen mit Bund und einigen Kantonen ein Werkzeugset entwickelt, das die nötigen Materialien enthält und Neueinsteigern erklärt, wie man genetische Proben nimmt. Die Tests und die Auswertung macht anschliessend ein spezialisiertes Labor.
In diesem Jahr werden zwischen 50 und 100 Sets verkauft. Die Kosten für eine Analyse belaufen sich auf rund 250 Franken. Das macht pro Teich weniger als 800 Franken. «Wenn man die Artenvielfalt allein mit Feldarbeit bestimmen wollte, ist man bei den Ausgaben für die Arbeitsstunden schnell im selben Bereich», sagt Meier.
Die traditionelle Feldbegehung wird von der Naturschutzgenetik vorerst jedoch nicht abgelöst. Holderegger von der WSL sieht sie mehr als Ergänzung, denn im Feld schaut sich der Biologe auch den allgemeinen Zustand eines Gewässers an oder Umweltveränderungen, die einen Einfluss auf die Artenvielfalt haben könnten. Arten, die wie beispielsweise der Laubfrosch auf Sträuchern und Bäumen leben, fallen durchs Netz der eDNA-Jäger. «Eine Wasserprobe bringt da nicht viel», so Holderegger.
Atlant Bieri ist freier Wissenschaftsjournalist in Pfäffikon (ZH).