Alt und allein in Nepal
Feldforschung in aussterbenden Dörfern: Die Humangeografin Sarah Speck will in ihren Interviews herausfinden, wie es alten Menschen im ländlichen Nepal geht.
Die Jahre haben sich tief in die Züge eingekerbt. «Ich war erstaunt, dass die Gurung-Frau erst 68 Jahre alt war», erinnert sich Sarah Speck, Doktorandin Humangeografie an der Universität Zürich: «Aber die alten Menschen im ländlichen Nepal haben ihr ganzes Leben draussen gearbeitet. Immer an der Sonne.»
Getroffen hat die Forscherin ihr Sujet im abgelegenen, 44 Haushalte zählenden Bergdorf Mirsa. Dort und in anderen Dörfern führte sie in zwei Forschungsaufenthalten 2016 und 2017 qualitative Interviews mit 74 mehrheitlich auf sich allein gestellten Seniorinnen und Senioren. Im Himalaja-Staat greift das traditionelle Familienmodell nicht mehr, nachdem die Kinder für ihre alternden Eltern sorgen. Vermittlungsagenturen ermöglichen jungen Frauen und Männern, als Arbeitsmigrierende in die reichen Golfstaaten zu gehen. Zugleich steckt der Sozialstaat in Kinderschuhen. Es gibt kaum Altersvorsorge oder Altersheime. In diesem Kontext fokussiert Sarah Speck auf die Perspektive der Alten und will herausfinden, wie diese «in einer Zeit des Übergangs durch ihre Lebenswelt navigieren».
Die Frau auf dem Bild gibt auch den Schwierigkeiten solcher Forschung ein Gesicht. Speck erzählt: «Sie hat sich spontan dazugesellt, als ich ihre Nachbarin interviewt habe. Selbst aber wollte sie nicht an den Interviews teilnehmen.» Speck thematisierte darin nämlich unter anderem die beitragsfreie Altersrente in Nepal. Die Fotografierte bekommt dieses Geld nicht, weil sie als zu jung gilt. Sie glaubte nun, die Schweizer Forscherin sei eine Beobachterin der nepalesischen Regierung und machte den Erhalt der Rente zur Bedingung, um mit ihr zu reden.
Sarah Speck gefällt das Foto der Misstrauischen besonders gut: «Das furchige Gesicht widerspiegelt: Diese Frau hat viel durchgemacht. Ich weiss noch, wie sie ständig ihre Zigarette in der Hand hielt, rauchte, sie ausmachte und irgendwo hinlegte, nur um sie später wieder anzuzünden. Sie hatte sogar ein Bambusröhrli als Mundstück, damit sie die Zigarette wirklich ganz aufrauchen konnte.»
Judith Hochstrasser