Fokus: Die Verwandlung von Big Science
Big Science: Erwartungsdruck aushalten
Die Politik finanziert grosse Forschungsprojekte, erwartet im Gegenzug aber Ergebnisse. Die Forschenden müssen dem standhalten, selbst wenn Milliarden im Spiel sind, schreibt Daniel Saraga.
Was könnten wir mit zehn Milliarden machen? Olympische Spiele finanzieren oder einen Flughafen? Einen Staudamm oder einen Flugzeugträger? Oder doch eher ein futuristisches Weltraumteleskop? Seit dem Zweiten Weltkrieg stimmen Politik und Gesellschaft regelmässig Mammutprojekten zu – trotz astronomischer Kosten. Denn Big Science bringt uns zum Träumen. Sie befriedigt unseren Erkenntnisdrang und dient uns als handfester Beweis dafür, dass wir die Natur bis in die entlegensten Winkel zu erkunden vermögen.
Die vielleicht erstaunlichsten Erfolge kann dabei die «Wissenschaftsdiplomatie» vorweisen: Sie schafft es, nicht nur die politische, sondern auch die finanzielle Unterstützung zahlreicher Länder für gemeinsame wissenschaftliche Projekte zu gewinnen. Und Big Science bringt Zusammenarbeit auch auf andere Weise voran: Die grossen Forschungsinfrastrukturen stehen inzwischen allen Disziplinen offen. Es geht nicht mehr nur um die Beobachtung eines schwarzen Lochs, sondern um den medizinischen Fortschritt oder den Schutz der Umwelt. Diese Strategie zahlt sich aus, weil mehr und unterschiedlichere Akteure und Anwendungsmöglichkeiten die Chancen für eine Finanzierung erhöhen.
Die Gefahr bei solchen technologisch hochkomplexen Projekten besteht darin, Werkzeug und Ziel zu verwechseln. Denn die ungeheuren Investitionen über Jahrzehnte führen zu einer eigenen Dynamik: enorme Bürokratie, unrealistische Versprechen und Forderungen nach verwertbaren Ergebnissen. Dies könnte die Forschenden dazu verleiten, sich auf Verwaltung und Kommunikation zu konzentrieren und die Bereitschaft aufzugeben, Risiken einzugehen und neue Wege zu beschreiten.
Das Beispiel von John Ellis am Cern lässt hoffen. 2007, also ein Jahr vor der Inbetriebnahme des neuen Teilchenbeschleunigers, hatte er in Nature die Ansicht geäussert, dass die Nichtbeobachtung des Higgs-Bosons interessanter wäre als dessen Entdeckung – ganz im Widerspruch zur Ansicht der für die LHC-Finanzierung verantwortlichen Politik. Damit wissenschaftliche Megaprojekte ihre wahre Bestimmung – den Erkenntnisgewinn – erfüllen, müssen sie den eigentlichen Kern der Wissenschaft schützen: kompromisslose Ehrlichkeit. Selbst wenn die Wahrheit Leute verärgert, die ein Projekt ermöglicht haben – oder gerade dann.
Daniel Saraga, Chefredaktor