Hochschulen: Krise der Krisenkommunikation
Universitäten reagieren in Krisen oftmals defensiv. Dabei sollten sie diese als Normalfälle betrachten und sich darauf einstellen, schreibt Michael Furger.
Die Universität St. Gallen hatte schon ruhigere Jahre als 2018. Zuerst gerät ein Wirtschaftsprofessor wegen seiner Tätigkeit als Verwaltungsratspräsident bei der Bank Raiffeisen in die Schlagzeilen. Dann muss sie ein Verfahren wegen möglicher Spesenexzesse an einem Institut einleiten, und schliesslich kommt der Rektor selbst wegen seiner Nebentätigkeiten und hoher Vergütungen unter Druck.
Eingeschnappt statt einsichtig
Drei Krisen, alle wurden öffentlich. Und es sind nicht die einzigen Negativ-Schlagzeilen von Schweizer Hochschulen der letzten Jahre. Zu nennen wäre etwa die Aufregung um veröffentlichte Prüfungsbogen an verschiedenen Universitäten, zum Beispiel an der Universität Bern 2017, die Mobbing-Affäre an der ETH Zürich 2017, der Eklat um den geheim gehaltenen UBS-Sponsoring-Vertrag an der Universität Zürich 2013 und schliesslich die wahrscheinlich grösste Krise einer Schweizer Hochschule in jüngster Zeit: die Affäre um den umstrittenen Zürcher Medizinhistoriker Christoph Mörgeli, welche wiederum die Uni Zürich 2012 erschütterte. In vielen Fällen waren die öffentlichen Reaktionen der Hochschulen auf ihre Krisen ähnlich: hilflos, zuweilen wirr, auch mal beleidigt. Die ETH Zürich beispielsweise wollte mit allen Mitteln verhindern, dass der Mobbingfall öffentlich wurde. Als es dennoch geschah, gab sie sich wortkarg und eingeschnappt.
Auch eine Erhebung aus Deutschland deutet darauf hin: Die Kommunikationsabteilungen von Hochschulen verstehen es zwar bestens, Magazine auf Hochglanzpapier zu publizieren und Mitteilungen über Forschungsresultate zu versenden. Doch auf Krisen scheinen sie mässig vorbereitet zu sein. Forschende der Technischen Universität Ilmenau befragten 2017 die leitenden Kommunikationsverantwortlichen von 67 deutschen Hochschulen. Vier von fünf gaben an, schon mindestens eine Krise erlebt zu haben. Am häufigsten waren dies negative Medienberichterstattungen oder Verfehlungen von Angestellten oder Studierenden. Dennoch werden, so der Befund, wichtige Instrumente wie Medientraining, die Entwicklung von Krisenszenarien oder auch von Richtlinien für den Umgang mit Social Media nur in geringem Umfang eingesetzt. Zur Schweiz gibt es zwar keine entsprechenden Zahlen, doch die Hochschulkommunikation sei mit jener in Deutschland vergleichbar, sagt Birte Fähnrich, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Mitherausgeberin des Buches «Forschungsfeld Hochschulkommunikation ».
Diskutieren statt handeln
Fähnrich hat den Plagiatsfall der ehemaligen deutschen Bildungsministerin Annette Schavan im Jahr 2012 untersucht. Nicht nur für Schavan, die ihren Doktortitel und das Ministeramt verlor, sondern auch für die betreffende Universität Düsseldorf wurde der Fall zu einer Krise, den sie nur ungenügend bewältigte. Die Hochschule sei in ihrer Kommunikation sehr stark darauf bedacht gewesen, das Verfahren der Prüfung und Aberkennung in den Vordergrund zu stellen, sagt Fähnrich. «Es ging ausschliesslich um die formale und rechtliche Korrektheit.» Dabei habe es die Universität aber verpasst, ihre Aufgabe als «Wissenschaftskommunikatorin» wahrzunehmen, sprich: über die Praktiken und Probleme wissenschaftlichen Arbeitens aufzuklären und damit den Ruf der akademischen Ausbildung wiederherzustellen.
Krisen sind sozial und kommunikativ konstruiert. Wie sie öffentlich wahrgenommen werden und wie stark sie damit die Reputation einer Hochschule oder der Wissenschaftsgemeinschaft schaden, hängt entscheidend von der Krisenkommunikation ab. Die Frage drängt also: Wieso scheitern selbst exzellente Hochschulen an dieser Herausforderung? Ein Grund sei die dezentrale Struktur der Organisationen, sagt Rolf Probala. Er war von 2000 bis 2006 Kommunikationschef der ETH Zürich und ist heute selbstständiger Kommunikationsberater. Die Hochschule als «Republik von Gelehrten», die sich selbst verwaltet und Professoren hohe Autonomie einräumt, sei sinnvoll, wenn es um akademische Fragen gehe, die man lange diskutieren könne. «Doch in Krisensituationen, wenn rasches, dezidiertes Handeln gefragt ist, wird dieses Führungsmodell zur Hypothek, wenn nicht zum Debakel.»
Den zweiten Grund sieht Probala in der Grösse und der Komplexität von Hochschulen. Wegen der langen internen Kommunikationswege und divergierender Interessen dauere es in Krisenfällen oft zu lange, bis der oberste Chef davon erfahre. Dies gelte zwar auch für grosse Unternehmen der Privatwirtschaft und für staatliche Institutionen, sagt Probala. «Doch die Struktur der Hochschulen mit ihrer eher schwachen Führung verstärkt das Problem.» Gute Kommunikation wird zusätzlich dadurch erschwert, dass Krisen an Hochschulen äusserst vielfältig sein können und zuweilen gar nichts mit wissenschaftlicher Arbeit zu tun haben. Als Kommunikationschef entwickelte Probala deswegen ein Krisenkonzept, das von wissenschaftlichen Fälschungen über Missbrauch oder kriminellem Verhalten von ETH-Angehörigen bis zu einer Explosion in einem Labor mit der Freisetzung von Giftstoffen, Terroranschlägen oder Hackerangriffen ging.
Im gesellschaftlichen Gegenwind
Dass solche Szenarien nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigen Beispiele aus den USA. Eine der grössten Krisen an einer amerikanischen Hochschule verursachte 2007 ein psychisch kranker Student der Virginia Polytechnic Institute and State University. Während zweieinhalb Stunden erschoss er auf dem Campus 32 Dozierende und Studierende. Die Kommunikation der Virginia Tech geriet später massiv in die Kritik, weil man nach den ersten Schüssen die Studierenden zu zögerlich informiert habe. Dabei hätten in erster Linie Leben gerettet werden sollen.
Hochschulen müssten ihr Bewusstsein gegenüber Krisen ändern, sagt Peter Stücheli- Herlach, Professor für Organisationskommunikation und Öffentlichkeit an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Denn: «Jede grössere Organisation wird einmal von einer Krise getroffen.» Hochschulen seien besonders gefährdet, weil sie heute häufig exponiert und umstritten seien. Die finanziellen Ressourcen, die sie brauchen, und auch die Wissenschaft an sich würden dauernd in Frage gestellt. Es gäbe ethische Diskurse und soziale Spannungen. «So gesehen», sagt Stücheli-Herlach, «ist es sogar erstaunlich, dass es nicht zu mehr Krisen kommt.» Wegen der härter werdenden gesellschaftlichen Debatten stünden den Hochschulen schwere Zeiten bevor. Sie müssten lernen, dass Krisen normal sind. Der erste Schritt dazu sei die Bereitschaft, sich von aussen zu betrachten. Das heisse: «Die Wissenschaftler müssen Abschied nehmen vom Anspruch, sie wüssten es von vornherein besser als alle anderen.»
Nötig sei zudem eine Infrastruktur, die permanent mögliche Krisenherde und gesellschaftliche Kontroversen identifiziere. «Jede Debatte könnte dereinst die eigene Universität betreffen.» Stücheli-Herlach spricht von einem Observatorium und einer Kultur des offenen Dialogs, auch mit Kritikern. Die eigenen Medien müssten kritischer werden und wegkommen von «Wissenschaftspropaganda». «Auch Hochschulen müssen die eigene Blase durchbrechen. » Eine solche Strategie hätte möglicherweise verhindert, dass der Fall Mörgeli derart eskalierte, meint Stücheli-Herlach. «Es war absehbar, dass die Konstellation zu einer Eskalation führen würde. Man hätte sich viel früher mit Christoph Mörgeli austauschen können.» Der Anspruch, dass eine Hochschule stets mit einer Stimme sprechen müsse, hält der Kommunikationsexperte für einen Irrtum. «Die gebildete Öffentlichkeit weiss, dass es in grossen Organisationen verschiedene Sichtweisen gibt.» Krisen, hartnäckige Journalisten und kritische Fragen – das müssten Hochschulen künftig nicht als Ausnahmesituation, sondern als Normalfall betrachten, so Stücheli- Herlach. Wer dauernd mit Medien und Kritikern in Kontakt bleibe und die gesellschaftlichen Kontroversen beobachte, könne in Krisensituationen treffsicher kommunizieren.