Die Emotionen von Tieren verstehen
Die Emotionsforschung soll dereinst helfen, die Tierhaltung zu verbessern. Doch die junge Disziplin sucht noch neue, zuverlässige Messmethoden.
Vorfreude, Lampenfieber, Enttäuschung – Gefühle bestimmen unser Leben. Und nicht nur unseres. Auch Tiere sind emotionale Lebewesen. Doch obwohl Charles Darwin dies schon vor fast 150 Jahren thematisierte, ist sich die Wissenschaft darüber erst seit wenigen Jahren einig. «Auch nach Darwin schauten Forscher Tiere noch lang als Maschinen an, erst in den 1990er-Jahren begann man, ihre Gemütsbewegungen zu studieren», sagt die Tierphysiologin Elodie Briefer von der Universität Kopenhagen, die zuvor an der ETH Zürich war.
Inzwischen ist die Zahl der Forschungsgruppen, die sich mit Tieremotionen befassen, stetig gewachsen. Nicht nur, «weil es fast nichts Interessanteres gibt, als die Gefühlswelt von Lebewesen zu erforschen», wie Hanno Würbel sagt, Professor für Tierschutz an der Universität Bern. «Positive von negativen Emotionen zu unterscheiden ist auch die Essenz des Tierschutzes.» Allerdings ist dies einfacher gesagt als getan. Zwar erkennt jeder Hundehalter, dass etwas nicht stimmt, wenn sein Tier zittert und winselt. Doch der genaue Gemütszustand eines Tieres ist für uns Menschen schwierig zu beurteilen.
Tiefer Puls: Ruhe oder Depression?
Weil wir Tiere nicht fragen können, was sie fühlen, ziehen Forschende diverse Indikatoren zu Rate. Ein Ansatz ist es, neurophysiologische Reaktionen wie Änderung der Herzfrequenz oder Hirnaktivität auf bestimmte Reize hin zu studieren. «Solche Studien haben den Vorteil, dass sie auf akkuraten Messungen basieren; allerdings sind sie oft mit Vorsicht zu interpretieren », sagt Lorenz Gygax, der früher am Zentrum für tiergerechte Haltung im thurgauischen Tänikon und heute an der Humboldt- Universität in Berlin forscht. So habe eine Doktorandin in Tänikon einst anhand des Herzschlags untersucht, wie Ziegen reagieren, wenn sie in eine neue Gruppe kommen. «Die Herzfrequenz nahm ab, aber nicht aus Gelassenheit: Die Ziegen zogen sich in der neuen Umgebung komplett zurück und lagen nur herum; sie getrauten sich kaum, sich zu bewegen.»
Solche Verhaltensveränderungen sind denn auch eine weitere Möglichkeit, Emotionen zu messen. Elodie Briefer etwa untersucht, wie Tiere durch Lautäusserungen ihren Gemütszustand mit Artgenossen teilen. Sie hat zum Beispiel herausgefunden, dass Pferde zweistimmig wiehern. Jedes Wiehern setzt sich aus zwei voneinander unabhängigen Grundfrequenzen zusammen. «Die eine Frequenz gibt an, ob es sich um eine positive oder negative Emotion handelt, die andere, wie stark diese Emotion ist», so Briefer. Nicht nur andere Pferde könnten dadurch unterscheiden, ob es einem Tier gut oder schlecht gehe, sondern auch Menschen, die sich mit Pferden auskennen.
Alles in allem ist unser Einblick in die tierische Gefühlswelt jedoch noch beschränkt, wie ein weiteres Beispiel aus der Forschung von Lorenz Gygax zeigt. Er untersuchte Ohrbewegungen und Ohrstellungen als Mass für die Aufmerksamkeit von Schafen. «Die untersuchten Schafe richteten die Ohren nach vorn und bewegten sie heftig, wenn wir sie mit einem negativen Reiz konfrontierten», sagt Gygax. Französische Forscher hingegen hätten bei anderen Schafrassen nach hinten gerichtete Ohren als Anzeichen für Stress gefunden. Als negative Reize wurden bei diesen Experimenten beispielsweise die Trennung von der Gruppe oder Hitze eingesetzt. Solche Verhaltensdaten, schliesst Gygax, seien zwar ein vielversprechender, aber auch ein steiniger Weg. «Je nach Emotion reagieren nicht nur Arten, sondern sogar Rassen unterschiedlich.»
Schwankende Stimmung
Zudem kann es sein, dass kurzfristige Reize nicht reichen, um bei einem Tier eine messbare Veränderung hervorzurufen. Eine Doktorandin untersuchte die unter Pferdehaltern verbreitete Meinung, man könne den emotionalen Zustand eines Pferdes an sogenannten Sorgenfalten oberhalb des Auges ablesen. «Tatsächlich», sagt Würbel, «fanden wir ein, zwei Parameter, die sich in unangenehmen Situationen veränderten.» Allerdings nicht so stark, dass man sie als verlässliche Indikatoren ansehen könne. Vielleicht bilden sich Sorgenfalten ja erst aufgrund einer langfristig negativen Stimmung.
Diese langfristige Stimmung, sagen die Forscher übereinstimmend, sei sowieso viel wichtiger für das Wohlergehen eines Tieres als kurzfristige Emotionen. Und sie spielt mit bei einer der neuesten und vielversprechendsten Untersuchungsmethoden: der Suche nach kognitiven Indikatoren. Dafür versetzen die Forschenden die Tiere zuerst in eine positive oder negative Grundstimmung und schauen dann, wie sie auf bestimmte Reize reagieren. Diese Methode basiert auf Erkenntnissen beim Menschen: Wer deprimiert ist, reagiert auf ein Ereignis anders als jemand, der glücklich ist. Der eine sieht das Glas halb leer, der andere halb voll. Es gebe inzwischen Nachweise, dass Schafe, Schweine, Ratten, Singvögel und gar Bienen je nach Stimmung mal so, mal so reagierten, sagt Würbel. «Das gibt uns ein Guckloch ins Gefühlsleben von Tieren.» Allerdings ist diese Art von Experimenten sehr aufwendig.
Einzug in das Tierschutzgesetz haben die Erkenntnisse aus der Emotionsforschung bis jetzt noch nicht gefunden. Dafür ist das Feld zu jung und zu komplex. Es gebe aber Fortschritte, die Tierhaltern vielleicht schon bald eine Hilfe sein könnten, sagt Elodie Briefer. Sie ist an einem europäischen Projekt beteiligt, das eine Software entwickelt, die negative Laute von Schweinen erkennen soll. Die Idee: Überschreiten diese Signale für Angst oder Schmerz einen Schwellenwert, wird der Schweinehalter alarmiert – und weiss, dass bei seinen Tieren etwas nicht in Ordnung ist.