Das Dilemma der Filmbiografien
In Biopics werden komplexe Figuren häufig zu Helden stilisiert. Eine Filmwissenschaftlerin analysiert das Genre anlässlich des baldigen Erscheinens von «Bruno Manser – Die Stimme des Regenwaldes».
Grosser, weisser Mann. Hinter ihm eine Reihe asiatischer Männer, Frauen und Kinder. Alle nackt bis auf Lendenschurze. Die Szene stammt aus dem Trailer zu «Bruno Manser – Die Stimme des Regenwaldes», einem Film von Regisseur Niklaus Hilber, der diesen Herbst in die Kinos kommt. Die Szene zeigt eine Strassenblockade und ist Teil der Geschichte des seit 2000 verschollenen Basler Aktivisten, der auf der südostasiatischen Insel Borneo zusammen mit dem vor Ort lebenden Volk der Penan gegen die Abholzung des Regenwaldes gekämpft hat.
Der Berner Ethnologe Adrian Linder, der lang auf Borneo gelebt hat, hat die Filmcrew einige Zeit als sogenannter Location Scout und später informell die Drehbuchentwicklung begleitet. Er kritisiert gewisse Schlüsselszenen. Von der Blockade weiss er: «Die Filmcrew hat sie mithilfe von Fotos der echten Blockade nachgebaut. Darauf sehen die Menschen aber nicht viel anders aus als anderswo bei Demonstrationen: Gewöhnliche Leute in Kleidern. Nur wenige Männer haben sich als Krieger verkleidet.»
Diese Alltäglichkeit sei vom Filmteam ausgeblendet worden. «Man hat die Leute alle in Lendenschurze gesteckt und den Schauspieler Sven Schelker vorangestellt. Der Schweizer, der das naive Urvolk anführt. Das ist eine extreme Verfälschung. Auch davon, was Bruno Manser wichtig war.» Der Aktivist habe sich von solchen Situationen ferngehalten. Weil es sonst geheissen hätte, die Leute seien von ihm aufgehetzt worden.
Idealisierung statt Mosaik
Linder stört sich an diesen Abweichungen, weil der Film als authentisch beworben wird. So schreiben etwa die Produktionsund die Vertriebsfirma von einer «wahren Geschichte». Die Produzenten wollten zu der Diskrepanz und dem wissenschaftlichen Hintergrund nicht Stellung nehmen.
Laut Filmwissenschaftlerin Margrit Tröhler von der Universität Zürich ist diese Spannung aber typisch bei Biopics. Diese wollen zwar glaubwürdig sein, aber auch Spektakel bieten. So werde oft idealisiert. Sie verweist etwa auf «Schindlers Liste» von 1993. Das Werk von Steven Spielberg erzählt die Geschichte des Industriellen Oskar Schindler, der während der Nazizeit über 1100 jüdische Menschen vor der Deportation bewahrte. «Es gab damals eine grosse Kontroverse: Der Film konstruiere einen deutschen Helden und relativiere den Holocaust. Es geht um ethische Fragen: Wo sind die Grenzen, wenn man nahe bei den historischen Tatsachen bleiben und packend erzählen möchte?»
Weil Biopics meistens runde Geschichten präsentieren, gingen die Ambivalenzen der Figuren verloren, sagt Tröhler. Eine Ausnahme sei etwa «I’m not there», die Filmbiografie über Bob Dylan von Regisseur Todd Haynes aus dem Jahr 2007, in der fünf Schauspieler und eine Schauspielerin den Musiker mimen. «Man wollte eine Lebenshaltung und Stimmungen einfangen, nicht Echtheit.» Ein ganzes Leben zu erzählen, gelinge fast nur als Mosaik.
Es erstaunt Tröhler auch nicht, dass Linder während der Drehbuchentwicklung des Bruno-Manser-Films kolonialistische Stereotype wie «der westliche Held und der edle Wilde» beobachtet hat. Das sei ein Klassiker, wenn Indigene und Weisse filmisch aufeinandertreffen, Biografie oder nicht. Selbst dem Blockbuster «Dances with Wolves » von 1990, von und mit Kevin Costner, der die einseitigen Indianerfilme wiedergutmachen wollte, sei nicht viel mehr gelungen. Darin werde die weisse Hauptfigur John Dunbar zum besseren Indianer als die Indigenen selbst. Und das Gut-böse- Schema werde einfach umgedreht, indem ausser Dunbar alle Weissen böse seien. Auch hier scheint das Manser-Biopic in die Fussstapfen seiner Geschwister aus Hollywood zu treten. Linder sagt: «In den Drehbuchversionen, die ich zu lesen bekam, sprachen alle bösen Menschen Englisch.»
Der neue Manser-Film läuft erst an. Eine abschliessende Meinung wird man sich erst dann bilden können. Das gilt auch für Linder und Tröhler. Doch wie Tröhler sagt: «Um Stereotypen aufzubrechen, müssen sowohl Biopics als auch Filme mit Indigenen von Anfang an genau darauf angelegt sein. Das verlangt bereits lange vor dem Dreh ein hohes Reflexionsniveau.» Denn: «Die Bilder im Kopf, die kulturellen Klischees und Erzählweisen zirkulieren und prägen alle Kulturen. Neue Bilder können nicht aus dem Nichts erfunden werden.»