Dem Burgunderblut auf der Spur
Er nimmt jede zweite Woche an der tiefsten Stelle im Zürichsee Wasserproben, berichtet Jakob Pernthaler. Sein Team studiert das massenhafte Aufkommen der Cyanobakterien, auch Blutalgen genannt.
«Der Zürichsee ist deshalb so bedeutend, weil er mehr als einer Million Menschen sogenannte Ecosystem Services bietet. Was sind Ökosystemdienste? Dazu gehört gute Wasserqualität für Trink- und Brauchwasser. Und der See ist auch ein Naherholungsgebiet. 90 Prozent der Ufer sind künstlich angelegt, sogar der Wasserspiegel wird mit der Wehranlage Platzspitz mitten in Zürich reguliert. Das Wasser des Sees wird durch die Zuflüsse aus Sihlsee und Linthkanal innerhalb eines Jahres mehr oder weniger ausgetauscht.
Wir von der Limnologischen Station der Universität Zürich fahren alle zwei Wochen auf den See und entnehmen Wasserproben aus verschiedenen Tiefen – von 20 bis 120 Metern. Wir dürfen jedoch keine feste Forschungsplattform mit Messinstrumenten an der tiefsten Stelle bei 136 Metern verankern. Der rege Schiffsverkehr lässt das nicht zu. Die Zürichsee-Flotte fährt wie ein öffentlicher Bus – ausweichen müssen die anderen. Mit unserem kleinen Boot sind wir flexibel. Zudem haben wir eine Seewasserleitung, die direkt ins Labor der Station in Kilchberg führt.
Wie kleine U-Boote
Die Temperatur der obersten Wasserschicht ist seit den 1990er-Jahren fast ein halbes Grad gestiegen. Deswegen ist im Spätherbst, selten auch im Frühling, an den Ufern ein rötlicher Film auf der Wasseroberfläche zu sehen. Das sind Burgunderblutalgen, wie sie im Volksmund genannt werden. Es ist das Massenaufkommen von bestimmten Cyanobakterien. Sie leben im Schwachlicht in 10 bis 15 Meter Wassertiefe. Und nur dort. Im Frühling und Herbst werden die roten Fäden allerdings an die Oberfläche getrieben. Aber auch mit der zunehmenden Sauberkeit und Klarheit des Wassers haben Bakterien während der letzten 20 Jahre im Zürichsee zugenommen.
Übrigens, den Namen Burgunderblutalgen erhielten sie wegen der Schlacht bei Murten: Als die Eidgenossen im Jahr 1476 die Burgunder besiegten, färbte sich das Wasser des Murtensees rot, angeblich vom Blut der Opfer.
Wir forschen auch, wie die globale Erwärmung und die damit einhergehende Veränderung der jahreszeitlichen Durchmischungsprozesse des Wassers das Wachstum der Burgunderblutalgen fördert. Mit Gasblasen in den Zellen steuern sie wie U-Boote in die optimale Wachstumstiefe. Geraten sie allerdings tiefer als 80 Meter, dann implodieren die Gasblasen durch den Wasserdruck. Nur so wird die Alge eliminiert. Aufgrund der globalen Erwärmung reichen die Durchmischungsprozesse heute aber nur noch bis in 60 Meter Tiefe. Das hat zur Folge, dass der grössere Teil der Cyanobakterien den Winter überlebt.
Zudem wehren sie sich mit starkem Gift gegen Frassfeinde. Das Gift ist auch für Menschen gefährlich und kann bei grösseren Mengen Durchfall, Erbrechen oder gar Leberschäden auslösen. Mit Ozonierung wird das Gift bei der Trinkwasseraufbereitung zerstört. Momentan monopolisiert die Masse der Burgunderblutalgen den See. Leider wird sie weder von Kleinkrebsen noch von Jungfischen gefressen. Darum ist der Zürichsee kein Eldorado mehr für Fische.
Es wäre jedoch falsch zu sagen, dass der See zu sauber ist und etwas mehr Nährstoffe, etwa Gülle aus der Landwirtschaft, ihm guttun würde. Meine Meinung ist folgende: Die Biologie des Wassers hat sich zwar zu Ungunsten der Fische verändert; die wichtigste Aufgabe als Ökosystemdienst des Sees ist aber das Generieren von Trinkwasser, dafür ist die derzeit hohe Wasserqualität eine ideale Voraussetzung.
Ein Interesse der biologischen Grundlagenforschung ist ausserdem die Frage, wie sich Mikrorganismen vom Gift dieser Algen ernähren. In der Limnologischen Station untersuchen wir deshalb Einzeller, welche die Burgunderblutalgen fressen, ohne dass sie selbst zu Schaden kommen. Im Prinzip suche ich mit dem Forschungsteam aber nicht nach Lösungen, wie man Burgunderblutalgen aus dem See eliminiert. Das Massenaufkommen ist ein natürlicher Prozess, der von uns wissenschaftlich begleitet wird. Sobald es einen richtig kalten Winter gibt, wird ein grosser Teil der Burgunderblutalgen zerstört werden. Mit einem solchen Winter wird ihr Monopol – zumindest für das darauffolgende Jahr – vorbei sein.»
Jakob Pernthaler leitet seit 2011 die Limnologische Station der Universität Zürich in Kilchberg. Er ist Professor für aquatische Mikrobiologie in den Fachgebieten Bakterien, Limnologie, Mikrobiologie und Umweltmikrobiologie. Am Institut für Zoologie der Universität Innsbruck promovierte Pernthaler. Danach war er am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen, bevor er 2005 an der Universität Zürich eine Assistenzprofessur übernahm.