Fokus: Toxic world
Glyphosat im Studiendschungel
Einst wurde es als Wundermittel gegen Unkraut gehandelt, nun mehren sich die Hinweise, dass Glyphosat krebserregend ist. Eine Reise in die Regulierungswirren einer Chemikalie.
Pharmafirma Cilag – Schweiz
Der Schweizer Henri Martin synthetisiert zum ersten Mal Glyphosat und findet keine pharmazeutische Wirkung.
Monsanto – USA
John E. Franz erfindet Glyphosat ein zweites Mal und patentiert seine Wirkung als Unkrautbekämpfungsmittel.
Monsanto – USA
Das Chemieunternehmen vermarktet das Herbizid als Formulierung mit anderen Hilfsstoffen unter dem Namen Roundup. Landwirte können nun auf das Pflügen vor der Aussaat verzichten.
EPA – USA
Die US Environmental Protection Agency stuft Glyphosat als «möglicherweise krebserregend» ein. Ein Jahr später fällt es unter «nicht klassifizierbar» und 1991 unter «Belege für Nichtkarzinogenität».
WOZU DAS GIFT VERWENDET WIRD
Das Unkrautbekämpfungsmittel Glyphosat blockiert in Pflanzen die Herstellung von lebenswichtigen Aminosäuren. Tiere nehmen diese Aminosäuren zwar über die Nahrung auf, sind aber nicht vom Effekt betroffen. Deshalb wird der Wirkstoff in der Landwirtschaft gern als Ersatz für das Unterpflügen von Unkraut verwendet, was Bodenorganismen schont und Traktorfahrten spart. Das Ziel der Landwirte: möglichst viel Ertrag auf möglichst wenig Fläche. Auch Bahnunternehmen setzen beträchtliche Mengen des Spritzmittels ein, um die Sicht auf den Gleisen freizuhalten.
Changhua Christian Hospital – Taiwan
Dokumentation von rund 20 Todesfällen durch Vergiftungen mit Roundup in den 1980er Jahren. Die Menschen hatten über einen Deziliter davon getrunken.
Monsanto – USA
Der Agromulti bringt die erste gentechnisch veränderte Sojasorte auf den Markt, die gegen das Herbizid resistent ist. Die Behandlung kann nun auf einen Zeitpunkt nach der Aussaat verschoben werden, was Roundup zum weltweiten Durchbruch verhilft.
Monsanto – USA
Das Patent auf das Isopropylaminsalz, die am häufigsten eingesetzte Form von Glyphosat, läuft aus. Das allgemeine Patent lief bereits 1991 aus.
Greenpeace – weltweit
Die Umweltorganisation publiziert einen Bericht, der die Sicherheit von Glyphosat in Frage stellt und sich gegen die gentechnisch veränderten Pflanzen stellt.
Exponent Inc.– USA
Die Beratungsfirma publiziert eine Übersichtsstudie in einer Fachzeitschrift, die keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber Glyphosat und Krebs findet.
Université de Caen – Frankreich
Die Resultate einer zwei Jahre dauernden Fütterung von Ratten mit Roundup und gentechnisch verändertem Mais werden publiziert. Die sogenannte Séralini-Studie zeigt grosse Tumore und schlägt grosse Wellen. Sie wird von der Wissenschaftscommunity stark kritisiert, darauf von der Fachzeitschrift zurückgezogen und später andernorts wieder publiziert.
Landwirte – weltweit
Über 800 000 Tonnen Glyphosat werden in diesem Jahr laut einer Schätzung weltweit eingesetzt – hauptsächlich auf Äckern. Es ist damit das am meisten angewandte Pestizid überhaupt und wird es noch für Jahre bleiben.
BfR – Deutschland
Das Bundesinstitut für Risikobewertung findet in über tausend Studien keine Hinweise dafür, dass der Wirkstoff schädlicher sei als bisher angenommen.
WHO – weltweit
Die Weltgesundheitsorganisation stuft Glyphosat als «wahrscheinlich krebserregend» ein, auf die zweithöchste von vier Stufen, also gleich wie rotes Fleisch. Die WHO-Expertise basiert auf rund tausend publizierten Studien. Mit dem Expertenbericht kommt die erste Behörde zu einer neuen Einschätzung des Risikos und verändert damit die nachfolgende Diskussion um Glyphosat fundamental.
Nationalrat – Schweiz
Eine Motion verlangt ein Verbot von Glyphosat in der Schweiz. Der Bundesrat lehnt sie ab. Knapp zwei Jahre später wird die Motion zurückgezogen.
EFSA – EU
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit stuft Glyphosat als «wahrscheinlich nicht krebserregend » ein. Sie basiert auf den Daten des deutschen Bundesamtes für Risikobewertung von 2014. Die Unterschiede zur WHO würden sich dadurch erklären, dass diese reines Glyphosat nicht von den Gemischen mit Hilfsstoffen unterscheide. Die WHO-Expertengruppe widerspricht dem später.
Mehrere Universitäten – weltweit
Eine systematische Übersichtsstudie von elf Studien findet keinen Zusammenhang zwischen der Exposition von Landwirtschaftsarbeitern und Lymphdrüsenkrebs. Drei Jahre später kommt eine ähnliche Studie zu einem anderen Schluss.
Greenpeace – Niederlande
Am Monsanto-Tribunal, an einem symbolischen Prozess von Umweltaktivisten in Den Haag, wird der Agrochemie-Multi der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen die Umwelt schuldig befunden.
Le Monde – Frankreich
Die Zeitung publiziert eine Analyse der «Monsanto Papers» – über 140 hauptsächlich interne E-Mails, die während eines Rechtsverfahrens in den USA veröffentlicht werden. Die Analyse zeigt, wie Monsanto versucht, auf die WHO Druck auszuüben, und für Wissenschaftler Ghostwriting betreibt.
Parlament – EU
Die Parlamentarier fordern ein Verbot des Herbizids bis Ende 2022.
BAFU – Schweiz
Das Bundesamt für Umwelt schlägt eine Anpassung der Grenzwerte von Chemikalien in Gewässern vor. Anstatt alles über den gleichen Kamm zu scheren, soll der Grenzwert neu die Giftigkeit reflektieren. Für die meisten Stoffe ist das tiefer als bisher, für andere höher, darunter Glyphosat. Die Vernehmlassung läuft bis März 2018.
Kommission- EU
Die Europäische Kommission lässt das Herbizid für weitere fünf Jahre zu.
BLW – Schweiz
Das Bundesamt für Landwirtschaft bestätigt, dass Glyphosat in der Schweiz weiterhin zugelassen ist. Es stützt sich auf die toxikologische Beurteilung des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), das wiederum die von Monsanto eingereichten Studien beurteilt und in den Expertengremien der EFSA, der Europäischen Chemikalienagentur, und des Joint Meeting on Pesticide Residues der WHO sitzt.
EPA – EU
Die US Environmental Protection Agency stuft Glyphosat als «wahrscheinlich nicht krebserregend » ein, aber es gebe «Potenzial für Effekte» bei Tieren und Pflanzen. Über die weitere Zulassung werde 2019 entschieden.
Grossrat VD – Schweiz
Der Waadtländer Regierungsrat schlägt vor, einen Plan zu erstellen, um die Verwendung des Wirkstoffs zu reduzieren.
Mehrere Universitäten – USA
Eine systematische Übersichtsstudie und Metaanalyse von sechs Studien zu exponierten Landwirtschaftsarbeitern kommt zum Schluss, dass diese ein um über 40 Prozent höheres Risiko haben, an einem Lymphdrüsenkrebs zu erkranken. Eine ähnliche Studie, die drei Jahr früher zu einem gegenteiligen Schluss gekommen ist, wird nicht zitiert.
Bundesbezirksgericht in Kalifornien – USA
Sechs Geschworene entscheiden: Glyphosat ist für den Lymphdrüsenkrebs von Edwin Hardeman verantwortlich. Er hat das Herbizid über zwanzig Jahre privat angewandt. Es ist das zweite von bisher drei Leitverfahren in den USA, die zuungunsten von Monsanto ausfallen.
Wissenschaft – weltweit
Die Literaturdatenbank Scopus liefert rund 10000 wissenschaftliche Publikationen zum Suchbegriff «glyphosate».
Illustration: CANA atelier graphique