Fokus: Geistreich gegen die Klimakatastrophe
Alle ab ins All
Die Erde verlassen und als Naturpark erhalten. Das Klima mit neuen Technologien steuern. Die zwei grossen Visionen, um die Menschheit vor den Folgen der Erderwärmung zu retten, werfen viele ethische Fragen auf.
«Wir müssen ins All, um die Erde zu retten», erklärte Amazon-Chef Jeff Bezos im Mai 2019 anlässlich einer Präsentation seines Mondlandegefährts in der Stadt Washington. Der Besitzer des Weltraumunternehmens Blue Origin hat auch schon ziemlich klare Vorstellungen, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Seine Firma soll die Nasa dabei unterstützen, noch in diesem Jahrzehnt Astronauten auf den Mond zu schicken und dort eine permanent bemannte Station zu errichten. Von dort soll die Reise dann weitergehen Richtung Mars. Beide Himmelskörper verfügen laut Bezos über Ressourcen, die wir im grossen Stil abbauen und nutzen sollten. Schliesslich könnten die Industrie und die Energieproduktion vollständig ins Weltall ausgelagert und die gesamte Menschheit in freischwebenden Raumkolonien untergebracht werden. So liesse sich die Erde als natürlicher Lebensraum erhalten. Als Naturpark, den die Menschen sporadisch besuchen können.
Aus dieser Vision spreche eine Allmachtsfantasie, sagt Andreas Brenner, Professor für Philosophie an der Universität Basel. «Zudem basiert sie auf der Vorstellung, dass wir ganz gut auch ohne Erde leben können.» Der Mensch aber, sagt der auf Umweltethik spezialisierte Geisteswissenschaftler, sei ein Teil der Natur, die er mitgestalte und die ihn ihrerseits trage und forme. In der Isolation, abgetrennt von der Natur, würde er verkümmern.
Was Brenner aber am meisten irritiert, ist die «ungeheure Arroganz», die da zum Ausdruck komme. «Da spricht einer für die ganze Menschheit. Und noch dazu jemand, der einen Lebensstil, der zur Zerstörung der Erde beigetragen hat, kräftig gefördert und daran verdient hat.» Nicht alle aber trügen zum Raubbau an der Erde bei. «Es gibt eine Milliarde Menschen, die ganz anders lebt. Müssten auch sie die Erde verlassen? Und was ist mit unseren Nachkommen? Wenn wir ins All auswandern, nehmen wir ihnen die Freiheit, selber zu entscheiden, wie und wo sie leben wollen.»
Brenner hält den Menschen nicht für ein grundsätzlich schädliches Element, das zum Wohl der Natur entfernt werden muss. «Ein Teil der Menschheit hat in den letzten Jahrhunderten zwar grosse Schäden verursacht», sagt er. «Doch wir können diese Probleme beheben, indem wir Lebensentwürfe verfolgen, die nicht auf den zerstörerischen Ressourcenverbrauch angewiesen sind.» Brenner sieht darin gar eine ethische Pflicht, die er aus den Prinzipien der Gerechtigkeit und der Verantwortung ableitet. «Wir Superreichen nehmen uns von den Ressourcen der Erde so viel, dass für andere nicht mehr genug da ist. Und zur Erlangung gegenwärtiger Vorteile lagern wir Schäden und Risiken raumzeitlich aus. Das ist unverantwortlich.»
Auch Anna Deplazes Zemp, Umweltethikerin und Leiterin des Forschungsprojekts «People’s Place in Nature» an der Universität Zürich, nimmt uns in die Pflicht. Dafür gibt es viele Argumente. Wir brauchen die Natur und müssen sie deshalb für uns selbst, unsere Mitmenschen und die zukünftigen Generationen erhalten. Doch diese Perspektive allein genüge nicht, denn «daraus würde folgen, dass es unproblematisch wäre, Ökosysteme, die nicht direkt für die Menschen nützlich erschienen, zu zerstören». Lebewesen, Ökosysteme oder die Erde haben auch einen Eigenwert und sind um ihrer selbst schützenswert. Diese Sichtweise basiere «auf einer metaphysischen Annahme von Werten», sagt Deplazes Zemp.
Doch primär stünden wir in der Verantwortung, weil wir selbst Teil der Natur sind und in vielseitiger Beziehung zu ihr stehen. «Aus diesen speziellen Beziehungen ergeben sich Werte, die einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur einfordern.» Dem könnten wir uns nicht entziehen, sagt die Umweltethikerin – auch nicht mit einer Flucht ins All. Denn auch auf einem anderen Himmelskörper hätten wir die Verantwortung zu tragen.
Flucht nur für Reiche
Vielleicht aber sind wir trotzdem bald zur Flucht gezwungen. «Die Ausbreitung im Weltall ist das Einzige, was uns noch retten kann», erklärte der inzwischen verstorbene Astrophysiker Stephen Hawking im Mai 2017 bei einem Auftritt im norwegischen Trondheim – und mahnte zur Eile. In den nächsten hundert Jahren müsse die Menschheit in der Lage sein, einen fremden Planeten zu besiedeln. Hawking gab sich überzeugt, dass dies gelingen kann. Die Technologie, um diesen Sprung zu machen, sei schon «fast in unseren Händen» und die Besiedlung ferner Planeten «keine Science-Fiction mehr».
Ben Moore, Professor für Astrophysik an der Universität Zürich, ist skeptisch: Er rechnet zwar damit, dass in den nächsten zehn Jahren eine Station auf dem Mond errichtet wird und in den kommenden hundert Jahren Menschen auf dem Mars landen, doch eine Besiedlung des Weltraums mit Millionen oder Milliarden von Menschen hält er für unrealistisch. Der Mars sei extrem lebensfeindlich und müsste erst zu einem erdähnlichen Habitat umgeformt werden. «Terraforming» wird diese mögliche Umwandlung genannt. «Das hört sich toll an», sagt Moore, «liegt aber noch vollständig im Bereich der Science-Fiction».
Kaum vorstellbar ist auch, wie man 7,5 Milliarden Menschen ins All bringen kann. Elon Musk, Tesla-Gründer und wie Bezos privater Weltraumunternehmer, strebt für die Besiedlung des Mars den Bau von wiederverwendbaren Raketen mit einem Fassungsvermögen von hundert Passagieren an und rechnet – im günstigsten Fall – mit Kosten von 140 000 Dollar pro Passagier. Die Flucht zum Mars wird also in absehbarer Zukunft nur für sehr wenige Menschen in Betracht kommen.
Eine Evakuation wird gar nicht nötig sein, glauben einige Verfechter des Geoengineering. Sie wollen wie Weltingenieure in das Klimasystem eingreifen, um die Katastrophe abzuwenden. Aber: Dürfen wir diese Rolle einnehmen und das Klimasystem absichtlich verändern? «Wir müssen sogar», sagt Ivo Wallimann- Helmer, Umweltethiker an der Universität Freiburg und Koautor eines 2017 publizierten White Paper zu den Chancen und Risiken des Geoengineering. An der Klimakonferenz der Uno 2015 in Paris hätten sich die Regierungen zum Ziel gesetzt, die globale Erwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad zu senken, um den gefährlichen Klimawandel abzuwenden. Dieses Ziel lasse sich sehr wahrscheinlich nur mithilfe von Geoengineering erreichen. «Davon gehen zwei Drittel aller wissenschaftlichen Analysen aus, die das Einhalten der Zwei-Grad- Leitplanke für möglich halten. Deshalb ist es sinnvoll, sich schon jetzt Gedanken über die faire Governance dieser Technologien zu machen.»
In der Forschung werden zwei unterschiedliche Ansätze untersucht. Der erste verfolgt das Ziel, CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen, wie es etwa die Zürcher Firma Climeworks vorhat. Projekte, die zur dauerhaften Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre führen, sind gemäss Weltklimarat IPCC unerlässlich, um die Zwei-Grad- Leitplanke einhalten zu können. Noch aber steckt diese Technik in der Experimentierphase, und es ist ungewiss, ob rechtzeitig genügend Kapazitäten aufgebaut werden können, um eine substanzielle Wirkung zu erzielen. Der Weltklimarat setzt deshalb primär auf den Anbau schnell wachsender Pflanzen wie etwa Mais, die zur Energiegewinnung verbrannt würden. Das dabei erzeugte CO2 würde abgeschieden und deponiert. Die Komponenten dieses Verfahrens sind technologisch ausgereift und mehrere kommerzielle Anlagen bereits in Betrieb. Um den in den Zukunftsszenarien für den IPCC berechneten Bedarf für negative Emissionen in der Höhe von 12 bis 16 Milliarden Tonnen pro Jahr ab 2050 abdecken zu können, müssten nach mehreren Schätzungen 300 bis 800 Millionen Hektar Landfläche für Energiepflanzen reserviert werden. Das entspricht der einfachen bis doppelten Grösse Indiens oder – laut UN-Ernährungsorganisation FAO – einem Fünftel bis mehr als der Hälfte aller heutigen Anbauflächen weltweit.
Ewige Symptombekämpfung
Der zweite innerhalb des IPCC diskutierte Ansatz zielt auf eine technische Beeinflussung der Sonneneinstrahlung mit dem Ziel, die Erwärmung zu mindern. Ein Abkühlungseffekt liesse sich erzeugen, indem man zum Beispiel reflektierende Schwefelpartikel in die Stratosphäre einbringen würde. Die Wirkung wäre ähnlich wie die eines grossen Vulkanausbruchs. Auch künstliche Wolken über den Meeren würden eine Abkühlung bewirken. Allerdings könnten Manipulationen dieser Art das Niederschlagsregime verändern und Dürren oder Unwetter auslösen. «Sie wurden noch nie grossformatig getestet und sind mit derzeit kaum abschätzbaren Risiken verbunden», erklärt Ivo Wallimann-Helmer. «Gemäss dem Vorsorgeprinzip ist deshalb grösste Zurückhaltung geboten.»
Das Geoengineering bringe zudem eine Reihe an ethischen Konflikten und Gerechtigkeitsfragen mit sich, sagt Wallimann-Hellmer, etwa im Bereich der Land- und Wassernutzung oder der Verteilung der Risiken und Nebenwirkungen. «Eine verminderte Sonneneinstrahlung hat nicht überall auf der Erde die gleichen Auswirkungen. Wer also darf darüber entscheiden? Und wie könnte man die Betroffenen entschädigen? Fragen der globalen und regionalen Gerechtigkeit müssten geklärt und allenfalls durch ein internationales Regelwerk erfasst werden.» Im Auge behalten müsse man auch die nachfolgenden Generationen, ergänzt Wallimann-Helmer. «Wenn wir zum Beispiel Aerosole in die Atmosphäre sprühen, überlassen wir unseren Nachkommen die Bürde, diese Symptombekämpfung aufrechtzuerhalten, weil ansonsten ein rapider Temperaturanstieg mit gewaltigen Problemen für die Gesellschaft und die Ökosysteme droht.»
Noch grösser wird die Bürde, wenn wir ausschliesslich auf Geoengineering setzen und die Entwicklung dieser Techniken nicht schnell genug voranschreitet. «Das Geoengineering verleitet dazu, Anstrengungen für die Emissionsminderung zu unterlassen», erklärt der Umweltethiker. «Nichts gegen den Klimawandel zu unternehmen und auf technische Lösungen zu hoffen, ist auch eine ethische Entscheidung, allerdings eine sehr gefährliche.»