Die kleine Schweiz spielt in der Weltraumforschung mit den Grossen mit. Das dürfte damit zu tun haben, dass sich die Schweiz kostspielige Forschung leisten kann – und Pioniergeist zum helvetischen Selbstverständnis gehört.
Das Magazin Bilanz hat ihn den «mächtigsten Wissenschaftler der Schweiz» genannt: Nasa-Forschungsdirektor Thomas Zurbuchen, aufgewachsen hoch über dem Thunersee in Heiligenschwendi. Über die Einstufung der Bilanz kann man sich streiten, aber ganz sicher steht Zurbuchen für einen wahrlich kometenhaften Aufstieg: Der Predigersohn, der sich vom Sekundarschullehrer anhören musste, er sei wahrscheinlich nicht intelligent genug fürs Gymnasium, erklimmt den Olymp der Weltraumforschung und wird zum Herrn über gigantische Budgets.
«Weltraumforschung kostet viel Geld. Deshalb spielen reiche Länder eine wichtige Rolle.»Säm Krucker
Zurbuchen ist aber kein isoliertes Phänomen. Die Schweiz ist seit den 1960er-Jahren bei vielen Weltraummissionen vorne dabei. Das hat zunächst einen ziemlich profanen Grund, wie Astrophysiker Säm Krucker von der Fachhochschule Nordwestschweiz sagt. «Weltraumforschung kostet viel Geld. Deshalb spielen reiche Länder eine wichtige Rolle.» Rund 200 Millionen Franken jährlich investiert die Schweiz in die Eroberung des Alls, über 180 Millionen davon als Beiträge an die Europäische Weltraumbehörde Esa, bei der die Schweiz seit deren Gründung Mitglied ist. Der Rest sind Aktivitäten auf nationaler Ebene, die den Status der Schweiz als Weltraumnation stärken sollen, und Beiträge im Rahmen von Horizon-2020-Projekten. Gemessen an den 22,5 Milliarden Gesamtausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung ist das kein riesiger Betrag, aber der konkrete Output kann sich sehen lassen: Die Schweiz ist mit 60 Instrumenten auf 50 verschiedenen Raumfahrtmissionen präsent – eine Auswahl davon ist hier abgebildet.
Am 10. Februar 2020 nahm die Raumsonde Solar Orbiter der Esa ihre Reise Richtung Sonne auf. Mit an Bord: das Spectrometer Telescope for Imaging XRays (Stix). Es wurde an der FHNW entwickelt und nimmt Bilder und Spektren von Sonnenexplosionen auf. Die Röntgenstrahlung, die durch die Öffnung im Hitzeschild der Raumsonde dringt, wird durch 64 Gitter gefiltert und von 32 Detektoren aufgezeichnet. Daraus werden Bilder der mit bis zu 40 Millionen Grad Celsius heissesten Region von Sonneneruptionen rekonstruiert.
Ein Labor aus Laserstrahlen
Mission: Lisa Institution: ETH Zürich
2034 startet die Esa-Mission Lisa (Laser Interferometer Space Antenna). Das Weltraumlabor wird aus drei Satelliten bestehen, die mit Lasern ein gleichseitiges Dreieck mit 2,5 Millionen Kilometern Kantenlänge aufspannen. Gravitationswellen, die durch diesen Formationsflug laufen, verändern diese Abstände um winzige Bruchteile. Solche niederfrequenten Gravitationswellen entstehen bei der Verschmelzung massiver schwarzer Löcher und geben Aufschluss über die Entstehung des Universums. Der Gravitations-Referenz- Sensor (GRS) ist das Herzstück des Lisa-Instruments. Die ETH Zürich ist für die Abtast- und Steuerelektronik für den GRS verantwortlich.
Ein Segel für Sonnenteilchen
Experiment: Solar Wind Composition Institution: Universität Bern
Der Astronaut Buzz Aldrin vor der amerikanischen Flagge auf dem Mond: Dieses Bild steht als Symbol für die Eroberung des Weltraums. Aber bevor Aldrin am 21. Juli 1969 die US-amerikanische Flagge in die Mondoberfläche steckte, rollte er ein Sonnensegel «made in Berne» aus. Das Berner Sonnensegel, das Solar Wind Composition-Experiment, war das erste nicht US-amerikanische Experiment im Apollo-Programm der Nasa. Es fing Teilchen von der Sonne ein, die dann in Berner Labors mit speziell dafür entwickelten Massenspektrometern untersucht wurden.
Auf Empfang geschaltet
Mission: Datenanalyse Institution: Universität Genf
In einem alten Haus in Versoix bei Genf befindet sich das Integral-Datenzentrum (ISDC). Es wurde als Schnittstelle zwischen der weltweiten Forschungsgemeinschaft und dem Integral-Satelliten gegründet. Integral ist ein Gammastrahlensatellit der Esa, der die Erde seit 2002 umkreist und die höchsten Energiequellen des Universums beobachtet. Heute beheimatet das ISDC noch weitere Missionen, aber seine Kernaufgabe besteht immer noch in der ständigen Datenanalyse und Prozessierung der Integral-Daten.
Auf der Suche nach dem Ursprung
Experiment: Rosina Institution: Universität Bern
Im August 2014 näherte sich die Esa-Sonde Rosetta bis auf 200 Kilometer dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko. Damit begann die Arbeit für Rosina, eines von 21 Forschungsinstrumenten auf der Sonde. Das unter Leitung der Uni Bern entwickelte Instrument besteht aus zwei Massenspektrometern und einem Gasdrucksensor. Es fängt Gase und Moleküle aus der Hülle des Kometen und misst deren Masse. Mit den Daten können Forschende zum Beispiel ermitteln, ob Kometeneinschläge Wasser auf die Erde gebracht haben könnten.
Schwarze Löcher unter Beobachtung
Mission: Athena Institution: Universität Genf
Genf 2028 will die Esa das Weltraum-Röntgenteleskop Athena (Advanced Telescope for High Energy Astrophysics) starten. Es soll die Verteilung, den Zustand und die Bewegung von heissem Gas im intergalaktischen Raum messen, schwarze Löcher, Supernovas und Sonneneruptionen untersuchen. Laut Esa wird Athena «einen bedeutenden Sprung nach vorne» bringen. Die Uni Genf ist federführend bei der Entwicklung des Filterrad-Mechanismus für das Röntgenintegralfeldgerät (X-IFU) mit der entsprechenden Steuerelektronik und allen geplanten Filtern.
Gibt es Leben auf dem Mars?
Experiment: Cassis Institution: Universität Bern
Viel weiter gereist als der Aussenminister der Schweiz ist das gleichnamige Instrument. Die Weltraumkamera Cassis (Colour and Stereo Surface Imaging System) nimmt die schärfsten Farbbilder der Marsoberfläche auf. Sie befindet sich auf der Raumsonde Exomars Trace Gas Orbiter und wurde von Forschenden der Uni Bern entwickelt. Cassis sucht nach Hinweisen auf Wasser, Gesteinssedimente und geologische Ereignisse wie Lawinen oder Dünenbildungen. Die Exomars-Mission der Esa und der russischen Agentur Roskosmos wurde 2018 gestartet und dauert bis 2023. Dann soll der Exomars-Rover auf dem Mars landen und der Orbiter als Verbindungsstation zur Erde dienen.
Nobelpreisträchtige Jagt auf Exoplaneten
Mission: Cheops Institution: Universitäten Genf und Bern
1995 fanden Michel Mayor und Didier Queloz von der Uni Genf den ersten Planeten, der um eine fremde Sonne kreist, und wurden für diese Entdeckung 2019 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Seitdem wurden Tausende Exoplaneten entdeckt und erforscht. Das Weltraumteleskop Cheops (Characterising Exoplanet Satellite) unter der Co-Leitung der Esa und der Schweiz beobachtet Sterne, von denen man weiss, dass sie von Exoplaneten umkreist werden. Das Teleskop misst die Helligkeit der Sterne, die leicht abnimmt, wenn ein Exoplanet vorbeizieht. Aus der Helligkeitsabnahme lässt sich die Grösse der Exoplaneten bestimmen.
Die Stellung der Schweiz hat aber auch mit Pionieren wie Johannes Geiss zu tun. Der im Januar 2020 mit 93 Jahren verstorbene Astrophysiker hatte mit seiner Forschungsgruppe an der Universität Bern das Sonnenwindsegel entwickelt, das der Astronaut Buzz Aldrin auf dem Mond entrollte, und wurde dafür von der Nasa mit der «Medaille für ausserordentliche wissenschaftliche Leistungen» ausgezeichnet. Er war einer der Gründungsväter und späterer Direktor am International Space Science Institute in Bern. Geiss legte auch den Grundstein für die 2004 gestartete Rosetta-Mission zum Kometen Tschurjumow-Gerassimenko mit dem Rosina-Experiment unter der Leitung der Berner Astrophysikerin Kathrin Altwegg.
Insbesondere im Kalten Krieg war der Wettlauf ins All vor allem auch ein Wettlauf der Ideologien, die bemannte Raumfahrt ein Prestigeobjekt des überlegenen Systems. Heute fragen sich viele Menschen, warum man viel Geld in die Suche nach Exoplaneten oder die Temperaturmessung im All investieren sollte. «Wenn in meinen Vorträgen diese Frage auftaucht, zeige ich immer mein Handy», sagt Säm Krucker. «Die Raumfahrt ist an vorderster Front, wenn es um die Entwicklung neuer Technologien geht.» Zudem schaffe die Raumfahrt auch Arbeitsplätze. So beschäftigen etwa die 21 Unternehmen der Swiss Space Industries Group SSIG gut 900 Personen, die direkt mit Raumfahrttechnologie zu tun haben. Indirekt aber arbeiten in der Schweiz mehrere Tausend Personen im Dienste der Raumfahrt – beispielsweise in Zulieferfirmen, die wichtige Komponenten für die Raumfahrtindustrie liefern. Die Weltraumbegeisterung der Schweiz trägt also auch ganz irdische Früchte.