POLITIKBERATUNG
Vertrauen muss verdient werden
In den vergangenen Monaten ging es zuerst rauf, dann runter mit dem Vertrauen in die Wissenschaft. Kritik an den Fachleuten ist dabei kein Fehler, sondern Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit.
Seit Beginn der Pandemie bleibt der Bevölkerung nicht viel anderes übrig, als den Expertinnen und Experten in den Forschungsabteilungen zu glauben. Und das tat sie zunächst auch, wie das Wissenschaftsbarometer zeigt, das unter anderem von Forschenden der Universität Zürich im Frühling 2020 erstellt wurde: Während der ersten Welle stieg das Vertrauen in die Wissenschaft im Vergleich zu den Umfragen in den Jahren 2016 und 2019 um 0,2 Punkte auf 3,8 auf einer Skala von 1 bis 5.
Psychologinnen und Politikwissenschaftler nennen diesen Effekt «rally-round-the-flag». In Krisenzeiten verlassen sich viele Menschen auf in ihren Augen glaubwürdige und etablierte Autoritäten. Entscheidend dabei ist, ob sie deren Expertise anerkennen, wie authentisch und wahrhaftig die Kommunikation wirkt und ob sie ihnen abnehmen, dass sie sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen. Am Anfang war also noch alles gut für die Wissenschaft.
Doch mit der zweiten Welle wurde auch die Kritik an der Wissenschaft lauter: bei Demonstrationen auf der Strasse, in Medienbeiträgen, aus der Politik. In der Wirtschaftskommission des Nationalrats sprach sich im Februar 2021 eine Mehrheit für ein Verbot von öffentlichen Äusserungen für die Mitglieder der wissenschaftlichen Covid-19-Taskforce aus. Die Flitterwochen sind wohl vorbei.
Schädliche Verwirrung
Tatsächlich könne in vielen Ländern inzwischen auch der Rückgang des «rally-roundthe- flag»-Effekts beobachtet werden, sagt Mike Schäfer, Professor für Wissenschaftskommunikation und Co-Projektleiter des Wissenschaftsbarometers. In Deutschland zum Beispiel stieg der Wert bei Ausbruch der Pandemie sehr stark an – von rund 50 Prozent im langjährigen Mittel, die der Wissenschaft vertrauen, auf ganze 81 Prozent. Das war im April 2020. Einen Monat später lag er bereits wieder bei 73 Prozent. «Allerdings relativiert sich der Effekt deutlich stärker beim Vertrauen in Medien und in politische Akteure, wie beispielsweise Bundesämter – dort sieht man jetzt schon einen deutlichen Abfall», so Schäfer.
Verantwortlich dafür gemacht wird auch die unkoordinierte Kritik von Forschenden am Vorgehen von Politik und Behörden. Das Resultat sei, «dass viele Leute unterdessen so verwirrt sind, dass sie sagen: Ich mache, was ich will», sagte Christoph Zenger, Professor für Gesundheitsrecht, in einem Interview in der Aargauer Zeitung. Er hatte 2018 das neue Epidemiengesetz analysiert. Kritik an der Taskforce wurde auch in diversen Online-Medien immer lauter. Zum Teil wurden auch Meinungsunterschiede zwischen Mitgliedern der Taskforce öffentlich ausgetragen.
Das Verflixte daran ist, dass genau das kritische Kommentieren eine der zentralen Aufgaben der Wissenschaft ist. Die gegenseitige Kritik gilt sogar als das Qualitätskriterium schlechthin. «Es gibt nicht die wissenschaftliche Methode, sondern viele. Was die Aussagen zuverlässig macht, ist der Prozess, durch den sie begutachtet werden», brachte es die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes in einem Interview auf den Punkt: «Alle wissenschaftlichen Behauptungen werden einer strengen Prüfung unterzogen, und nur die Aussagen, die diese Prüfung bestehen, können wir als Wissen betrachten.» Die Vorgehensweise ist bekannt als organisierter Skeptizismus. Da solche Diskussionen plötzlich öffentlich ausgetragen werden, können jetzt alle miterleben, dass der Skeptizismus keine Schutzbehauptung von Forschenden ist.
Caspar Hirschi freut sich jedenfalls darüber, dass die Auseinandersetzung über neue Studien aus den anonymisierten Gutachten für Fachzeitschriften in die Öffentlichkeit getreten ist. Er ist Historiker an der Universität St. Gallen und Autor eines Buches über Expertenskandale. Derzeit sei allerdings das Problem, dass weniger um wissenschaftliche Erkenntnisse gestritten werde, als eher darum, wie diese in Handlungsanweisungen umgesetzt werden sollen. «Indem Medien und Forschende das Ende der Wissenschaft und den Anfang der Politik verwischen, tragen sie zum Misstrauen in eine allzu expertokratisch auftretende Forschung bei.»
Respekt verlangt nicht blindes Vertrauen
Oreskes und Hirschi gehen beide davon aus, dass die Bevölkerung sich auf die Wissenschaft verlassen darf und soll, solange die Debatte unter Forschenden funktioniert. Für Emanuela Ceva, Philosophin an der Universität Genf, entsteht Vertrauen aber in der Beziehung, wenn eine Person auf eine andere reagiert und umgekehrt – aus dem Respekt, den diese Personen füreinander haben.
Ceva untersucht, weshalb Vertreterinnen und Vertreter von Institutionen einander als verlässliche Partner betrachten oder eben nicht; zum Beispiel die Mitglieder der Taskforce und die Mitarbeitenden des Bundesamts für Gesundheit. «Die beiden Gegenüber einer Beziehung müssen einander gegenseitig als verantwortungsvolle Personen behandeln.» Es geht dabei aber nicht um Freundlichkeit und Höflichkeit. «Respekt benötigt eine kritische Einstellung gegenüber dem Inhalt der erhaltenen Information, also nicht einfach blindes Vertrauen.» Das würde heissen: Weder dürfen die Behörden einfach in wissenschaftlichen Erkenntnissen nach Grundlagen suchen, um ihre bereits getroffenen Entscheidungen zu rechtfertigen, noch können Forschende erwarten, dass die Verwaltung ihre Erkenntnisse exakt gemäss ihren Vorstellungen in Taten umsetzt.
Dasselbe gelte auch für den Umgang mit der Bevölkerung. Es sei ein Gebot der gesellschaftlichen Ethik, Menschen als mündige Bürgerinnen und Bürger zu behandeln, die fähig sind, selbst verantwortliche Entscheidungen zu treffen. Nur so seien sie auch bereit, sich anzupassen. «Die Menschen wollen sich kritisch engagieren. Wenn Entscheidungen einfach getroffen und durchgedrückt werden, fühlen sie sich behandelt wie Kinder.»
Doch die Pandemie entwickelt sich höchst dynamisch und stellt eine nie dagewesene Herausforderung dar. Das gilt besonders für die liberalen Demokratien Europas, welche die freiheitlichen Grundrechte hochhalten, wie eine im April 2021 veröffentlichte Studie des Zentrums für Demokratie Aarau zeigte: Je höher die Qualität der Demokratie, desto weniger Einschränkungen wurden beschlossen – unabhängig von der epidemiologischen Lage.
Der Journalismus soll es richten
Umso schwieriger ist die Aufgabe der Vermittelnden zwischen Forschung und dem Rest der Gesellschaft. «Wissenschaftskommunikation und Politik müssen einander gegenseitig unterstützen. Twitter ist dafür schlicht zu oberflächlich», so Philosophin Ceva. Der Historiker Hirschi sieht die Wissenschaftsjournalistinnen in einer verantwortungsvollen Position: «Sie haben eigentlich die Rolle der Kritikerinnen an wissenschaftlichen Grössen, hielten sich in der Pandemie aber leider ziemlich zurück.» Es läge an ihnen, den umstrittenen Bereich abzustecken und aufzuzeigen, welche Implikationen die unterschiedlichen Tatsachen hätten. «Leider ging es in den Medien meist oft mehr darum, wer recht hat, als welches die eigentliche Streitfrage ist.»
So argumentiert auch Sara Rubinelli, Philosophin und Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Luzern. Der Prozess müsse im Vordergrund stehen: So werde ersichtlich, was gute wissenschaftliche Belege seien und was reine Meinungen. Es müsse klar sein, wie sich Forschung neuen Themen nähere. Dabei müsse zudem stets deutlich gemacht werden, was bekannt sei und was nicht. Dafür müssten Forschende in die öffentliche Arena steigen: «Ich habe im letzten Jahr mit Wissensvermittlung begonnen, und ich muss sagen, es hat mir selbst geholfen, die Wissenschaft besser zu verstehen.» Diese kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Forschung helfe dann auch der Bevölkerung, wenn sie gut informierte Entscheidungen treffen möchte.