METAMATERIALIEN
Die Grenzen der Optik sprengen
Sie können, was Glas nicht kann: Blau und Rot auf zwei unterschiedliche Punkte fokussieren. 2D-Nanostrukturen ebnen den Weg für neue Bildgebungstechnologien.
Wenn ein Lichtstrahl ein transparentes Material durchquert, ist seine Reise komplexer, als es scheint: Die Lichtwelle schubst die Elektronen der Atome. Kurzzeitig gestört, kehrt die elektrische Ladung wieder ins Gleichgewicht zurück und erzeugt dabei von Neuem Licht, das sich von der ursprünglichen Quelle nicht unterscheiden lässt. Dieser Vorgang wiederholt sich quer durch das Material von Atom zu Atom, bis die Welle auf der anderen Seite wieder heraustritt. Was den Anschein eines kontinuierlichen Flusses erweckt, ist in Wirklichkeit eher ein Staffellauf. Zusätzlich wird bei jeder Übergabe das Licht etwas abgelenkt: So entsteht die Lichtbrechung, das Phänomen, das einen halb ins Wasser getauchten Stock geknickt erscheinen lässt.
Das gleiche Phänomen tritt auch bei Metamaterialien auf. Das sind Platten, auf die in Schichten regelmässige Muster aus Kupfer, Gold oder Silber aufgedruckt sind. Diese künstliche Struktur bricht das Licht auf ähnliche Weise wie die Atomstruktur in einem transparenten Material. Die Muster werden deshalb auch als «künstliche Atome» bezeichnet. Durch Veränderungen von Form, Grösse und Anordnung dieser Muster können gezielt elektromagnetische Strahlen mit einer bestimmten Wellenlänge beeinflusst werden – UV-Licht, sichtbares Licht, Infrarotlicht oder Mikrowellen. Ausserdem lässt sich die Stärke der Brechung festlegen. Damit können neue Bildgebungstechniken entwickelt und die physikalischen Grenzen der Auflösung herkömmlicher glasbasierter Optik verschoben werden.
Noch ist die Miniaturisierung allerdings eine hohe Hürde: Die aufgedruckten Muster müssen fünf- bis zehnmal kleiner sein als die betreffende Wellenlänge. Mit einer Länge von rund einem Dutzend Zentimetern sind Mikrowellen kein Problem. Die vielversprechendsten Anwendungen liegen aber im Spektrum des sichtbaren Lichts zwischen 390 und 780 Nanometern Wellenlänge. Hier müssten die Motive kleiner als 100 Nanometer sein – ein Tausendstel eines Haardurchmessers.
Hautkrankheiten einfacher erkennen
«Wir wissen noch nicht, wie wir genügend kleine 3D-Nanostrukturen herstellen können, mit denen wir sichtbares Licht beeinflussen können », erklärt Olivier Martin, Leiter des Labors für Nanophotonik und Metrologie der EPFL. Aus diesem Grund arbeitet der Forscher mit zweidimensionalen Flächen, die sich einfacher herstellen lassen. Diese Metaflächen sind zwar weniger effizient als 3D-Materialien, ermöglichen aber bereits interessante Manipulationen des Lichts.
Eines dieser Metamaterialien sieht aus wie Glas, auf das U-förmige Silbermotive gedruckt sind. Die grössten Motive interagieren mit rotem Licht, die kleinsten mit blauem Licht. Über die Anordnung und die Form der Motive kann für jede Farbe ein unterschiedlicher Brechungsindex erzeugt werden. Mit anderen Worten: Die Farben können auf zwei unterschiedliche Punkte fokussiert werden. «Dieser Effekt ist absolut neu, ohne Gegenstück in der klassischen Optik», erklärt Olivier Martin.
«Das ist zweifellos ein bemerkenswerter Fortschritt im Bereich der Metaoberflächen», kommentiert Juejun Hu, Materialforscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT), der nicht an den Arbeiten beteiligt war. «Im Gegensatz zu traditionellen optischen Vorrichtungen und ihrer Wirkung auf Breitbandlicht interagiert dieser Prototyp mit Licht einer ganz bestimmten Farbe – also Wellenlänge –, ohne den Rest des Spektrums zu beeinflussen, was zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten eröffnet.»
Ab Herbst 2021 wird Olivier Martin mit anderen Forschenden der EPFL zusammenarbeiten, um potenzielle Anwendungen für seine Metamaterialien zu erkunden. Er könnte sich Bildgebungsgeräte zur Erkennung von Hauterkrankungen vorstellen oder Anwendungen zur Überwachung des Wachstums von landwirtschaftlichen Kulturen oder auch in der Hydrologie. Gebiete, in denen heute spezialisierte hyperspektrale Kameras nötig sind.