Fokus: Daten für die Medizin
Edito: Mein Dossier für alle, alle Dossiers für mich
Personalisierte Medizin und Public Health, die beiden modernen medizinischen Stossrichtungen, brauchen einen Standard beim Umgang mit Daten, schreibt Co-Redaktionsleiterin Judith Hochstrasser.
Sie sind ein bestimmender Gegensatz unserer Zeit: Individuum und Kollektiv. Der Streit darum, welches Konzept moralisch die Oberhand bekommt, wird seit der Pandemie besonders leidenschaftlich ausgetragen. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die maximal persönlich auf jedwelche Umstände reagieren können wollen, auf der anderen Seite diejenigen, die für die ganze Gesellschaft maximal bestimmen möchten, wie sie auf eine schwierige Situation zu reagieren hat.
In Gesundheitsfragen akzentuiert sich die Spannung zwischen Individuum und Kollektiv ganz besonders. Das macht unser Fokus zum Umgang mit Daten in der Medizin deutlich. Wie unter dem Brennglas zeigt sich der Konflikt etwa beim Datenschutz: Es gibt sowohl das Recht der Einzelperson auf Privatsphäre als auch das Bestreben der Forschung, möglichst viele Daten zu bekommen, um Prävention und Therapien für Volkskrankheiten zu entwickeln.
Paradoxerweise treibt das für ein Kollektiv standardisierte Sammeln und Verwerten von Daten auch die Individualisierung in der Medizin voran. Viele Erkenntnisse der sogenannten personalisierten Medizin beruhen auf breit erhobenen Daten. Dabei werden Patientinnen unter der Prämisse behandelt, dass jede kranke Person eine persönlich angepasste Therapie braucht.
Die personalisierte Medizin ist eine Art logische Weiterentwicklung der Individualmedizin, die nach 1945 ihren Siegeszug durch die USA und Europa antrat. Damals wie heute war die Zuversicht gross, dass die neue Art Medizin nahezu allen Krankheiten beikommen könnte. Doch auch Public Health, die Gesundheit der ganzen Bevölkerung, benötigt einen Standard im Umgang mit Daten, um besser werden zu können.
So brauchen Individuum und Kollektiv die Daten von ganz vielen Menschen, brauchen je individuelle und kollektive Entscheide zum Umgang mit Daten. Das gegensätzliche Paar ist in Gesundheitsfragen maximal voneinander abhängig. Und so eng miteinander verknüpft, dass keines moralisch die Oberhand gewinnen kann, ganz gleich, wie lang wir darüber streiten.