IM SCHLAFLABOR
Schäfchen zählen unter Beobachtung
Um die Geheimnisse des Schlafs zu lüften, brauchen Forschende Freiwillige, die sie während einer Nacht im Labor beobachten. Die Redaktorin hat sich auf ein Mittagsnickerchen zur Verfügung gestellt.
Heute besteht meine Arbeit darin zu schlafen. Aber nicht irgendwo, sondern im Schlaflabor der Universität Freiburg. Originell und ziemlich aufregend: Ich kann hier für die Dauer einer Siesta Versuchskaninchen spielen – die Nacht ist den Freiwilligen vorbehalten, die an echten Studien teilnehmen. Aber man weiss ja nie: Wenn ich einschlafe, könnte sich das, was sich in meinem Gehirn abspielt, als nützlich für die Wissenschaft erweisen.
11.30 Uhr: Ich habe einen Termin mit Björn Rasch, dem Leiter des Schlaflabors. Er führt mich in den Keller in einen kleinen, einfach ausgestatteten Raum: ein Schreibtisch und zwei Computer, auf denen die Aufnahmen der Studienteilnehmenden analysiert werden. Rechts und links befinden sich zwei abgekapselte und schalldichte Kabinen, von denen eine für mein Nickerchen vorgesehen ist. Ich schaue mir das Zimmer an: Es ist hübsch eingerichtet, und das Bett scheint bequem zu sein. Allerdings sollte man nicht klaustrophobisch veranlagt sein, da es nicht gerade viel Platz und kaum Licht hat.
In der ersten halben Stunde rüsten mich zwei Assistentinnen mit einer ganzen Batterie von Elektroden aus: zwei auf der Stirn, zwei an den Schläfen, zwei am Hinterkopf, zwei unter dem Kinn und eine auf dem Scheitel. Sobald sie gut angeklebt sind, was einige Zeit dauert, messen sie die elektrische Aktivität meines Gehirns und über meine Muskeln die Augenbewegungen.
Sie werden später im Elektroenzephalogramm (EEG) darüber Auskunft geben, ob ich wach bin oder in einer Schlafphase. Nun ist meine Bewegungsfreiheit eingeschränkt: Ich bin durch eine Vielzahl von Kabeln mit einer Box verbunden, die ich mit mir herumtragen muss. Mir kommt der unangenehme Gedanke, dass meine Gedanken nun der Forschung offenstehen.
Denken beeinflusst schlafen
Aber so weit sind wir noch nicht. Die Wissenschaft versucht vor allem, den Zustand des Schlafs besser zu verstehen, der nach wie vor Geheimnisse birgt. Zum Beispiel erforscht Hans-Peter Landolt an der Universität Zürich die Mechanismen der Schlafregulierung bei gesunden Menschen. Warum Regulierung? «Schlaf ist zwar ein anderer Zustand als Wachsein, aber er kann nicht untersucht werden, ohne den Wachzustand zu berücksichtigen und umgekehrt», erklärt der Forscher.
12.15 Uhr: Ich bin noch hellwach, als mir mitgeteilt wird, dass die Kabine auf der linken Seite für mich bereit ist. Ich habe 40 Minuten zur Verfügung. Eine der Assistentinnen schliesst die Tür, löscht das Licht und erinnert mich daran, dass ich mich jederzeit melden kann, wenn ich ein Problem habe. Ich müsse nur den Knopf auf dem Nachttisch drücken. Auch wenn ich ihn selber kaum brauchen werde, kann ich mir vorstellen, dass es wichtig ist, sich sicher zu fühlen, damit die Nacht im Labor den Forschenden Informationen liefert, die nicht durch Stress verzerrt sind.
«Unsere Gedanken beeinflussen unseren Schlaf», bestätigt mir Björn Rasch. «Zum Beispiel konnten wir nachweisen, dass es möglich ist, allein durch Gedanken schlechten Schlaf herbeizuführen», erklärt er. Der Wissenschaftler versucht in seinem Labor zu verstehen, wie unsere Gedanken, Vorstellungen und Gefühle unseren Schlaf verändern und wie man dieses Wissen nutzen kann, um unser Alltagsleben und insbesondere unseren Schlaf zu verbessern.
Seine Forschungen führten zu einer Hypothese, die auf dem Zusammenhang von Schlaf und Gedächtnis basiert: So ist bekannt, dass Informationen, die kurz vor dem Schlafengehen gelernt werden, während des Schlafs reaktiviert werden, wodurch sie besser im Gedächtnis bleiben. «Nach meiner Hypothese werden auch die Gedanken, die man kurz vor dem Schlafengehen hat, im Schlaf reaktiviert.» Je nach Art dieser Gedanken reagiert der Körper positiv oder negativ, was den Schlaf beeinflusst.
Im Traum weiter wandern
Ich lege mich aufs Bett, platziere das Kabelbündel neben mir und vergesse sofort, dass ich mich in einem Labor befinde: Es ist dunkel, es gibt keine Geräusche, mir ist warm und ich muss nur die Augen schliessen. Da ich Zeit für mich habe, lasse ich meine Gedanken schweifen. In diesem Stadium weiss ich gar nicht, ob ich bereits schlafe, ob ich bewusst an die Wanderung vom Wochenende zurückdenke oder sie im Traum noch einmal erlebe.
Das ist gemäss der Neurowissenschaftlerin Sophie Schwartz von der Medizinischen Fakultät der Universität Genf durchaus möglich. Sie und Elise Frioud ist Wissenschaftsredaktorin von Horizonte. ihr Team erkunden die Informationsverarbeitung im Schlaf und wollen die Prozesse im Zusammenhang mit Gedächtnis und Lernen besser verstehen.
Die Wissenschaftlerin veranschaulicht diesen Mechanismus so: Stellen wir uns vor, dass wir einer Person zum ersten Mal begegnen. Wir haben es mit einem neuen Gesicht zu tun, dessen physische Merkmale wir im Gedächtnis behalten werden. Dieses Gesicht wird zu den gespeicherten Bildern von Gesichtern hinzugefügt, die Gesichter werden verglichen und neu eingeordnet: Es ist eckiger als dieses, schmaler als jenes und so weiter.
«Der Schlaf ist ein idealer Zeitpunkt für diese Modellierung, vor allem, weil die Gehirnregionen, die an dieser Arbeit beteiligt sind, nicht aktiv andere Informationen verarbeiten müssen, wie es im Wachzustand der Fall ist», erklärt sie. Dieselben Mechanismen erklären teilweise, warum sich in unseren Träumen häufig frische Elemente aus unserem Kurzzeitgedächtnis mit älteren Erinnerungen vermischen. Es ist also durchaus möglich, dass ich von meiner Wanderung geträumt habe, wenn nicht heute, dann zumindest in den Nächten davor.
War ich wach oder habe ich geschlafen?
Sophie Schwartz versucht herauszufinden, welche Erinnerungen während des Schlafs bevorzugt reaktiviert werden: Häufig sind es Ereignisse, die im Wachzustand das Belohnungssystem aktivierten. «Das ist nicht überraschend: Um seine Überlebenschancen im Laufe der Evolution zu erhöhen, hatte der Mensch, wie andere Tiere auch, ein Interesse daran, sich an positive Erfahrungen zu erinnern, zum Beispiel an einen Ort mit reichlich Nahrung.» Sophie Schwartz und ihr Team haben nachweisen können, dass dieselben neuronalen Netzwerke wie im Wachzustand aktiviert werden können, wenn die Partitur im Schlaf erneut durchgespielt wird.
Die Tür meiner Kabine öffnet sich, das Licht geht an. Viel zu früh für meinen Geschmack, ich habe das Gefühl, dass der Versuch gerade erst begonnen hat. Björn Rasch bestätigt mir jedoch, dass die Zeit abgelaufen ist. Der Wissenschaftler stellt mir die Frage, die ich mir selbst stelle: Habe ich geschlafen? Ehrlich gesagt, weiss ich es nicht. Die vom Computer aufgezeichneten Gehirnströme und Augenbewegungen geben Aufschluss: Ich schwankte zwischen tiefer Entspannung und erster Schlafphase. «Die gesamte Zeit, die in der Schlafphase verbracht wird, ist für das Gedächtnis verloren. Deshalb hat man das Gefühl, dass die Zeit verflogen ist», erklärt er.
Ich bezweifle, dass mein EEG dem Wissenschaftler zu neuen Einsichten verhelfen wird, aber ich fühle mich ausgeruht, das ist immerhin etwas. Das können im Übrigen nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Schlafstudien für sich in Anspruch nehmen. Die Schlafforschung beschäftigt sich auch mit Schlafmangel, zum Beispiel: Wie wirkt sich Schlafentzug auf die kognitiven Funktionen im Wachzustand aus?
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Menschen unterschiedlich auf Schlafmangel reagieren. «Ich versuche herauszufinden, ob diese Unterschiede einen genetischen Ursprung haben», erklärt Hans-Peter Landolt. Der Forscher untersucht zum Beispiel, ob Dopamin ein Ansatzpunkt für die Erklärung dieser Unterschiede ist.
Wenn Schlafentzug hilft
Zwar sind die Auswirkungen von Dopamin auf grundlegende Hirnprozesse wie Bewegungskontrolle, emotionale Reaktionen, Sucht und Schmerzen bekannt, nicht aber seine Rolle bei der Regulierung von Wach- und Schlafzustand. Der Zürcher Forscher konnte mithilfe von molekularer Bildgebung zeigen, dass bei Menschen nach nächtlichem Schlafentzug die Anzahl bestimmter Rezeptoren von Glutamat – einem erregenden Neurotransmitter im Gehirn – in der Wachphase höher war als nach einer normalen Nacht.
Und dass sich die Zahl der Rezeptoren nach einer erholsamen Nacht wieder normalisierte. «Diese Rezeptoren sind wahrscheinlich an den molekularen Mechanismen beteiligt, die das Gleichgewicht zwischen Wachen und Schlafen regulieren», schliesst der Forscher.
Eine Entdeckung, die praktische Anwendungen haben könnte. So ist bekannt, dass sich Menschen, die an Depressionen leiden, nach Schlafentzug besser fühlen. Der Forscher glaubt, dass die Erklärung dafür bei diesen Rezeptoren zu suchen ist. Sollte sich dies bewahrheiten, wäre das ein vielversprechender Ansatzpunkt, um schneller wirksame Medikamente gegen Depressionen zu entwickeln. Bis dahin und um dem Schlaf noch weitere Geheimnisse zu entlocken, müssen die Freiwilligen in den Labors noch viele Schafe zählen.