STANDPUNKT
«Es fühlt sich toxisch an, russisch zu sein. Und genau das will unsere Regierung»
Die Russin Olga Trukhina, Chemikerin und Postdoc an der EPFL Wallis, sucht nach den besten Möglichkeiten, etwas gegen den Krieg in der Ukraine zu unternehmen.
Verschiedene Nationalitäten forschen gemeinsam im Labor für funktionelle anorganische Materialien der EPFL Wallis. Beispielsweise entwickelt die russische Postdoc Olga Trukhina clevere Methoden zur Rückgewinnung von Metallen. Der Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine veränderte ihr Leben.
Olga Trukhina, wie hat der Krieg in der Ukraine Ihr Leben beeinflusst?
Die Taten Russlands haben mich wachgerüttelt. Die Farbtöne wurden aus meinem Leben gelöscht. Es gibt nur noch Schwarz oder Weiss, bei ehemaligen Klassenkameradinnen, Nachbarn und Freundinnen − für oder gegen den Krieg. Ich konnte meine russischen Kontakte nicht davon überzeugen, dass es eine Invasion und ein Verbrechen ist. Ich begriff: Es hilft mehr, wenn ich unabhängigen Journalisten Geld spende und Flüchtenden helfe.
Gab es dabei feindselige Reaktionen?
Nein, nie. Am Anfang hatte ich Angst, die Ukrainerinnen würden mich hassen. Es fühlt sich toxisch an, russisch zu sein. Genau das will unsere Regierung: Wir sollen glauben, wir würden gehasst, damit wir uns gegen den Rest der Welt stellen. Meine Erfahrung in der Schweiz und im übrigen Europa ist anders – wenn wir Stellung nehmen und etwas unternehmen, anstatt über den Verlust unseres bisherigen Lebens zu klagen. Kein Ukrainer war seit dem Krieg unfreundlich zu mir, aber das macht es nur noch schlimmer. Was ich auch tue, es reicht einfach nicht.
Haben Sie keine Angst, sich öffentlich gegen den Krieg zu stellen?
Es ist zu spät für Angst – der autokratische Apparat wird uns verschlingen, egal, was wir tun. Besser wäre die Frage, ob ich nach Russland zurückgehe. Ja, ich möchte meine Familie wiedersehen. Als Forscherin sehe ich im technologisch zurückfallenden Russland aber keine Zukunft. Fachkräfte verlassen das Land.
Gab es Unterstützung von der EPFL?
Ja. Es gibt einen speziellen Ausschuss zur Unterstützung von ukrainischen Flüchtenden. Es gab auch ein Online-Treffen zwischen Russen und der Direktion der EPFL. Das Ziel: die Auswirkungen dieses schrecklichen Konflikts auf die EPFL zu verringern. Es wurde auch psychologische Hilfe angeboten.
Und Ihre Forschungskollegen?
Meine Professorin und meine Kollegen waren sehr verständnisvoll – sie haben keine Fragen gestellt, waren aber da, wenn ich reden wollte.
Worauf hoffen Sie?
Es ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, uns Russinnen zu fragen, wie wir uns fühlen. Wir sollten den Ukrainerinnen zuhören. Ich hoffe, dass dieses Interview nicht noch mehr Menschen wütend macht. Allgemein hoffe ich, dass sich die Kriegsgegner unter den Russen gegen dieses Monster vereinen, anstatt über inhaltliche Details zu streiten wie gemeinsame oder individuelle Verantwortung. Ich hoffe auf einen ukrainischen Sieg und Freiheit in Russland.