Jung, weiblich, jüdisch, mit neuen Fragestellungen – Elisabeth Bronfen war als junge Akademikerin alles andere als das, was man sich an der Philosophischen Fakultät Zürich gewohnt war.| Foto: Lea Meienberg

Mindestens eine Stunde lang steht Elisabeth Bronfen täglich in der Küche. So lange braucht sie für die Zubereitung einer schnellen Mahlzeit. Kocht sie für Gäste, was sie oft und gerne tut, dann immer mehrgängig – mit entsprechend noch grösserem Aufwand. Zwischen Herd und Kühlschrank tüftelt die Professorin für Amerikanistik auch an Rezepten herum und entwickelt sie bis zur Kochbuchreife. 2016 hat sie eine erste Rezeptsammlung unter dem Titel «Besessen. Meine Kochmemoiren » herausgegeben, und demnächst folgt mit «Lust auf ...» das zweite Werk aus dem bronfschen Kochlabor. Es sei ein Stimmungskochbuch, in dem die Rezepte nach Geschmacksrichtungen und Gemütslagen geordnet seien, verrät Bronfen.

Die Lust auf Süsses beispielsweise, kombiniert mit Trauer oder Langeweile, zusammen mit «Es ist kalt draussen» ergibt einen Rezeptvorschlag, der auch das Gemüt erwärmt. Die Lust auf eine Frage – oder, anders gesagt, ihre unbändige Neugierde sowie ihre breiten Interessen – ist das Auswahlkriterium, mit dem Elisabeth Bronfen ihre Forschungsschwerpunkte festlegt. Und das sind viele: Neben der angloamerikanischen, der deutschen und der französischen Literatur – «die Sprachen, die ich wirklich gut kann» – beschäftigt sie sich auch mit Opern, Filmen und Fernsehserien sowie bildenden Künsten und arbeitet gern interdisziplinär «zwischen dem Schriftlichen und dem Visuellen».

Alles mit Kultur
Elisabeth Bronfen ist 1958 in München geboren und in Deutschland und den USA aufgewachsen. Sie ist Kultur- und Literaturwissenschaftlerin, seit 1993 Professorin für Anglistik an der Universität Zürich und seit 2007 Global Distinguished Professor an der New York University. Sie forscht in den Bereichen Gender Studies, Psychoanalyse, Literatur-, Film- und Kulturwissenschaften und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. Gegenwärtig arbeitet sie an einem Kochbuch, einem autobiografischen Roman sowie an einem Werk über Shakespeare.

Als eine weitere Inspirationsquelle nennt Bronfen ihre eigene Familiengeschichte, die sie als eine «deutsch-jüdische Migrantengeschichte» bezeichnet. Es ist eine Geschichte, die nach dem 2. Weltkrieg zwischen Deutschland und den USA mit der Ehe ihrer Eltern beginnt, sich um jüdische Identität dreht und um ein Leben zwischen den Kulturen. So sind Krieg und seine Nachwirkungen, Traumata und Multikulturalismus Themen, die sich immer wieder finden in ihrem wissenschaftlichen Werk, wie etwa im Buch «Hollywoods Kriege. Geschichte einer Heimsuchung», mit einem Blick auf Amerikas traumatische Kriegsgeschichte durch die Linse von Filmen.

«Es ist es eine soziologische Frage, was in einer Gesellschaft als beachtungswürdig gilt und wer diese Grenze zieht. Was den Wert von Kunst ausmacht, ist sehr subjektiv.»

Darüber hinaus lässt sich die Amerikanistin und Kulturwissenschaftlerin bei ihrer Arbeit immer auch vom Feminismus leiten. Bei der Beschäftigung mit den verschiedenen Kunstformen unter diesem Blickwinkel geht es ihr ebenso um eine Erklärung für die Abwesenheit von Frauen wie auch um «die Kunst von Frauen und weibliche Subjektivität in irgendeiner Form, wie sie sich ausdrückt oder eben nicht ausdrückt », so Bronfen.

Mit Werken von Frauen beschäftigt sich Elisabeth Bronfen aber nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch ganz konkret als autodidaktische Kuratorin im Museum. Sie ist vom Kunsthaus Aargau eingeladen worden, verschiedene Sammlungen des Hauses zu durchforsten und Vorschläge für eine Schau zu machen. Entstanden ist die Ausstellung «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau ... Eine Geschichte der Künstlerinnen», die Werke von bekannten und von vergessenen Künstlerinnen zeigt, die seit der Moderne bis in die 1990er-Jahre entstanden sind.

Kunst von Frauen sichtbar machen

Der Auftrag, den sich Bronfen dabei selbst gegeben hat, lautete, dieses «Archiv neu zu lesen, die Werke durch eine andere Brille anzuschauen». Also nicht zu schauen, was über das Geschlecht hinaus ein gemeinsamer Nenner dieses Schaffens sein könnte, sondern die Frage zu stellen, was konkret da ist und «welche Formen der Kreativität es von Frauen im 20. Jahrhundert gegeben hat». Die Biografien der Künstlerinnen habe sie dabei erst in einem zweiten Schritt berücksichtigt. Es seien vielfach gebrochene, schwierige Lebensgeschichten. Sie von Anfang an miteinzubeziehen, hätte gemäss Bronfen «eine andere Ausstellung ergeben. So hat sie das Schwere nicht.»

Ganz unbelastet oder selbstverständlich sei die Kunst von Frauen aber noch immer nicht. Obwohl sie heute die gleichen Chancen wie die Männer haben, Kunsthochschulen zu besuchen, «hat das Werk von Frauen nicht die gleiche Visibilität wie das von Männern und nicht den gleichen monetären Wert», so die Kulturwissenschaftlerin. Gemäss einer Untersuchung des Guardian seien Sammlerinnen und Sammler nicht bereit, für das Werk einer Frau gleich viel zu bezahlen wie für das eines Mannes – wenn sie denn das Geschlecht der Künstlerin oder des Künstlers kennen. «Schliesslich ist es eine soziologische Frage, was in einer Gesellschaft als beachtungswürdig gilt und wer diese Grenze zieht. Was den Wert von Kunst ausmacht, ist sehr subjektiv», antwortet Bronfen auf die Frage, warum man die Werke von Frauen zeigen soll, obwohl sie nicht dasselbe Renommee haben wie die von Männern.

«Es war ein dauernder Kampf, in Entscheidungen des Lehrkörpers einbezogen zu werden.»

Als junge Akademikerin hat Elisabeth Bronfen nicht dasselbe Schicksal erlebt wie viele Frauen, die es im Wissenschafts- ebenso wie im Kunstbetrieb bis heute schwierig haben, nach oben zu kommen. Ihre Berufung an die Universität Zürich 1993 wurde in den Medien damals als eine kleine Revolution wahrgenommen. Jung, weiblich, jüdisch, deutsch, amerikanisch, mit anderen Fragestellungen, anderen Denkbildern, teilweise der feministischen Kulturtheorie entlehnt – und dann erst noch geschickt im Umgang mit Medien – sie war damals alles andere als das, was man sich bis dato in der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich gewohnt war, erinnert sie sich.

Doch so überraschend für sie die Berufung war, so hart war dann das tägliche Brot der Zusammenarbeit mit den Kollegen. «Es war ein dauernder Kampf, in Entscheidungen des Lehrkörpers miteinbezogen zu werden, Leselisten mit Autorinnen und neue theoretische Positionen wie beispielsweise die Dekonstruktion, Gender Studies oder psychoanalytische Literatur- und Kulturtheorie zu etablieren», berichtet sie.

Unbeirrt weitergegangen

Hat sich der Kampf gelohnt? Hat sich in den knapp dreissig Jahren seit ihrer Berufung etwas verändert an der Universität Zürich? «Das Personal hat geändert. Der Frauenanteil in den Lehrkörpern ist heute bedeutend höher als in den 1990er-Jahren. Was sich in Zürich noch immer nicht unhinterfragt durchgesetzt hat, sind Gender Studies. Es ist nicht völlig normal, sie als eine Disziplin wie jede andere zu studieren », so die Professorin. «Wenn die Studierenden mich fragen, warum sie sich mit Frauen beschäftigen sollen, antworte ich ihnen, dass diese Frauen noch nicht lange präsent sind und dass sich das ganz schnell wieder ändern kann. Deshalb müssen wir immer wieder die Aufmerksamkeit auf die Frauen richten, bis sie aus dem Wissenschaftskanon nicht mehr wegzudenken sind.»

Trotz solcher Widrigkeiten ist Bronfen ihren Weg als «bunte» Wissenschaftlerin, wie sie sich selbst charakterisiert, unbeirrt gegangen. Sie publiziert noch immer mit grosser Regelmässigkeit, hält Vorträge und ist neben ihrer Tätigkeit an der Universität eine gern gesehene Gastprofessorin an diversen Universitäten sowie eine vielbeachtete Stimme in den Medien – für Kulturwissenschaft oder für Kulinarik.