DEBATTE
Sind parodistische Fakes mit wissenschaftlichem Inhalt gefährlich?
Eine Scheibe Chorizo, die aussieht wie eine Aufnahme aus dem Weltall: ein französischer Wissenschaftler hat mit einem angeblichen Foto des James-Webb-Teleskops einen Shitstorm ausgelöst. Sind solche Witze sinnvoll?
Je kleiner der Aufwand und je grösser der komische Effekt, desto gelungener ist ein Witz. Kleins Social-Media- Prank ist demnach sehr gelungen. Zum einen beträgt der Abstand zwischen einer abfotografierten Chorizo-Scheibe und einem mit einem 10 Milliarden USDollar teuren Weltraumteleskop aufgenommenen Bild 3,14 Millionen Lichtjahre (behaupte ich jetzt einfach mal so) – was schon allein den parodistischen Fake hinreissend lustig macht. Der Witz ist darüber hinaus ein zu einem Minimum verdichtetes epistemologisches Schwergewicht: Wie oft haben wir schon gelesen, dass wir dank funktioneller Magnetresonanz- Bildgebung «dem Hirn beim Denken zusehen können»? Leider ohne dass jemand die unfreiwillige Komik dieser Behauptung lustig findet. Was «wir» (schon dieses abstrakte Kollektivpronomen sollte skeptisch machen) können, ist: mithilfe der fMRI die Sauerstoffsättigung in verschiedenen Hirnregionen mit Verzögerung als Abweichung von einem aus vielen Hirnen errechneten Normmodell in farbige Diagrammfolgen transformieren.
Es gehört zur wissenschaftsphilosophischen Allgemeinbildung, dass eine Entdeckung nicht aus dem Entdeckungszusammenhang herausgelöst werden kann. Ebenso ist ein Bild an den Kontext seiner medialen Produktion gebunden. Ergo: Dieser Hoax ist nicht nur lustig, sondern auch klug, weil er ein Bewusstsein dafür schafft, wie in den Wissenschaften Fakten technisch, medial, experimentell erzeugt werden. Sie fallen einem nicht «unvermittelt» in den Schoss wie Newtons Apfel.
Peter Schneider ist Psychoanalytiker, Kolumnist und Satiriker sowie Privatdozent für klinische Psychologie an der Universität Zürich. Er hat diverse Bücher zu Psychoanalyse, Psychiatrie und Wissenschaftsphilosophie publiziert, das letzte, «Follow the Science», im Jahr 2021.
In der Notfallstation eines US-Spitals warten hungrige Assistenzärzte auf die bestellte Pizza, als ein Opfer mit einer Schusswunde eintrifft. Sie kämpfen um das Leben des jungen Mannes, jedoch vergeblich. Er war der Pizzalieferant. Am Eingang finden sie die Pizza. Einer von ihnen fragt: «Wie viel Trinkgeld geben wir ihm?» Sie lachen und essen die Pizza.
Unser Verständnis von Humor ist häufig von Missverständnissen geprägt. Der Humor aus der medizinischen Welt etwa, illustriert durch den eben erzählten Witz, kann sehr schwarz und ziemlich grob sein. Immer neue Generationen von angehenden Ärztinnen und Ärzten erleben das. Wer schockiert ist oder sich angegriffen fühlt, kann das nicht immer zugeben. Diese Diskrepanz zwischen einem Lachen, das von anderen erwartet wird, und wohltuendem Lachen ist problematisch.
Die Juristin Katie Watson hat Humor vor einiger Zeit nach Funktionen kategorisiert. Bei Witzen gibt es vielfältige Botschaften zwischen den Zeilen: Wir machen Witze, um die Wahrheit schneller zu sagen, Mächtiges weniger bedrohlich erscheinen zu lassen oder auch um eine Realität wiederherzustellen, die unerträglich aus dem Gleichgewicht gerät. Wir lachen über den Tod selbst, das aufputschende Beispiel schlechthin. Dieser Humor ist lebenswichtig. Aber Botschaften, die ohne Lachen problematisch wären, bleiben auch dann problematisch, wenn sie lustig dargestellt werden. Über einen Schwächeren lacht man mit einem ausgrenzenden und erniedrigenden Lachen. «Wo bleibt dein Sinn für Humor?» ist da die falsche Frage.
Welche Botschaften werden nun im Beispiel mit der Chorizo-Scheibe vermittelt? «Sei misstrauisch bei Bildern im Internet», übersetzt der Physiker seinen Witz. «Du bist ein leichtgläubiger Trottel», verstehen Leute, die Wissenschaft und schöne Bilder mögen, und manche fühlen sich betrogen. Das ist gefährlich. Diese Botschaft bestätigt das Vorurteil, dass Forschende arrogant und elitär sind. Bleiben wir also vorsichtig: Wie unsere Aussagen verstanden werden, muss uns wichtig sein, ob mit oder ohne Humor.
Samia Hurst ist medizinische Bioethikerin an der Universität Genf und Beraterin des Rates für klinische Ethik der Universitätsspitäler Genf. Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift Bioethica und war Vizepräsidentin der Covid-19-Science- Taskforce.
Der französische Wissenschaftler Etienne Klein hat das Foto einer Scheibe Chorizo getwittert und als Aufnahme des James-Webb-Teleskops ausgegeben: «Diese Detailgenauigkeit … Eine neue Welt offenbart sich Tag für Tag.» Drei Tage später entschuldigte er sich bei allen Leichtgläubigen, die er mit seinem Scherz vor den Kopf gestossen haben könnte: Er habe lediglich «zur Vorsicht gegenüber Bildern anregen wollen, die für sich selbst zu sprechen scheinen».
Je kleiner der Aufwand und je grösser der komische Effekt, desto gelungener ist ein Witz. Kleins Social-Media- Prank ist demnach sehr gelungen. Zum einen beträgt der Abstand zwischen einer abfotografierten Chorizo-Scheibe und einem mit einem 10 Milliarden USDollar teuren Weltraumteleskop aufgenommenen Bild 3,14 Millionen Lichtjahre (behaupte ich jetzt einfach mal so) – was schon allein den parodistischen Fake hinreissend lustig macht. Der Witz ist darüber hinaus ein zu einem Minimum verdichtetes epistemologisches Schwergewicht: Wie oft haben wir schon gelesen, dass wir dank funktioneller Magnetresonanz- Bildgebung «dem Hirn beim Denken zusehen können»? Leider ohne dass jemand die unfreiwillige Komik dieser Behauptung lustig findet. Was «wir» (schon dieses abstrakte Kollektivpronomen sollte skeptisch machen) können, ist: mithilfe der fMRI die Sauerstoffsättigung in verschiedenen Hirnregionen mit Verzögerung als Abweichung von einem aus vielen Hirnen errechneten Normmodell in farbige Diagrammfolgen transformieren.
Es gehört zur wissenschaftsphilosophischen Allgemeinbildung, dass eine Entdeckung nicht aus dem Entdeckungszusammenhang herausgelöst werden kann. Ebenso ist ein Bild an den Kontext seiner medialen Produktion gebunden. Ergo: Dieser Hoax ist nicht nur lustig, sondern auch klug, weil er ein Bewusstsein dafür schafft, wie in den Wissenschaften Fakten technisch, medial, experimentell erzeugt werden. Sie fallen einem nicht «unvermittelt» in den Schoss wie Newtons Apfel.
Peter Schneider ist Psychoanalytiker, Kolumnist und Satiriker sowie Privatdozent für klinische Psychologie an der Universität Zürich. Er hat diverse Bücher zu Psychoanalyse, Psychiatrie und Wissenschaftsphilosophie publiziert, das letzte, «Follow the Science», im Jahr 2021.
In der Notfallstation eines US-Spitals warten hungrige Assistenzärzte auf die bestellte Pizza, als ein Opfer mit einer Schusswunde eintrifft. Sie kämpfen um das Leben des jungen Mannes, jedoch vergeblich. Er war der Pizzalieferant. Am Eingang finden sie die Pizza. Einer von ihnen fragt: «Wie viel Trinkgeld geben wir ihm?» Sie lachen und essen die Pizza.
Unser Verständnis von Humor ist häufig von Missverständnissen geprägt. Der Humor aus der medizinischen Welt etwa, illustriert durch den eben erzählten Witz, kann sehr schwarz und ziemlich grob sein. Immer neue Generationen von angehenden Ärztinnen und Ärzten erleben das. Wer schockiert ist oder sich angegriffen fühlt, kann das nicht immer zugeben. Diese Diskrepanz zwischen einem Lachen, das von anderen erwartet wird, und wohltuendem Lachen ist problematisch.
Die Juristin Katie Watson hat Humor vor einiger Zeit nach Funktionen kategorisiert. Bei Witzen gibt es vielfältige Botschaften zwischen den Zeilen: Wir machen Witze, um die Wahrheit schneller zu sagen, Mächtiges weniger bedrohlich erscheinen zu lassen oder auch um eine Realität wiederherzustellen, die unerträglich aus dem Gleichgewicht gerät. Wir lachen über den Tod selbst, das aufputschende Beispiel schlechthin. Dieser Humor ist lebenswichtig. Aber Botschaften, die ohne Lachen problematisch wären, bleiben auch dann problematisch, wenn sie lustig dargestellt werden. Über einen Schwächeren lacht man mit einem ausgrenzenden und erniedrigenden Lachen. «Wo bleibt dein Sinn für Humor?» ist da die falsche Frage.
Welche Botschaften werden nun im Beispiel mit der Chorizo-Scheibe vermittelt? «Sei misstrauisch bei Bildern im Internet», übersetzt der Physiker seinen Witz. «Du bist ein leichtgläubiger Trottel», verstehen Leute, die Wissenschaft und schöne Bilder mögen, und manche fühlen sich betrogen. Das ist gefährlich. Diese Botschaft bestätigt das Vorurteil, dass Forschende arrogant und elitär sind. Bleiben wir also vorsichtig: Wie unsere Aussagen verstanden werden, muss uns wichtig sein, ob mit oder ohne Humor.
Samia Hurst ist medizinische Bioethikerin an der Universität Genf und Beraterin des Rates für klinische Ethik der Universitätsspitäler Genf. Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift Bioethica und war Vizepräsidentin der Covid-19-Science- Taskforce.