Fokus: Zum Tourismus der Zukunft
Editorial: Auch ich bin beim Reisen ein Trampel
Wie können wir Übertourismus vermeiden? Es gibt keine attraktiven Lösungen für alle, aber doch Möglichkeiten, auf andere Weise Interessantes zu erleben.
Wenn ich mich beim Berner Zytglogge-Turm durch die Menschentraube zwängen muss, dann – und dafür schäme ich mich – denke ich manchmal: «Tourists go home!» Wobei die Leute in Barcelona oder Venedig im Gegensatz zu mir wirklich nachvollziehbare Gründe für diesen Slogan haben. Es ist ein Fluch, denn wir Reisenden zerstören genau das, was wir erleben wollen: die Authentizität der einheimischen Kultur und die unberührte Natur. Unser Fokus zeigt dieses Dilemma, das 1850 schon der englische Schriftsteller John Ruskin beklagte. Die vielen Besucher verunstalteten die Alpen. Und heute setzt sich die Zerstörung fort: Die Anreise in die Skigebiete trägt selbst dazu bei, dass dort wegen der Erderwärmung immer weniger Schnee liegt.
Ich kam mir als Student besonders erhaben vor, als ich im Jahr 2000 ein Dorf im mexikanischen Urwald noch besuchen konnte, bevor dort bald mit der neuen Strasse die Welle der gewöhnlichen Touristinnen reinschwappen würde. Heute ist mir klar: Ich war ja gerade der Trampel, der mit seinem Drang nach einem aussergewöhnlichen Erlebnis an der ersten Spur mitgearbeitet hat, die später zu den ausgetretenen Pfaden führen würde, die ich mit allen Mitteln zu vermeiden suchte. Und wäre ich mehr den auf Massenandrang eingestellten Routen gefolgt, hätte ich den Einheimischen mehr Kontrolle darüber gegeben, was sie wirklich von sich preisgeben wollen.
Eine Destination mit 3D-Video für VR-Brille zu besuchen, wie ein Projekt in unserem Fokus vorschlägt, ist auch kein echter Ersatz für eine Reise. Vielleicht sollte ich besser Erlebnisse anderer Art suchen: Sindhu Gnanasambandan vom Podcast Radiolab wollte in einem Selbstexperiment die subjektiv erlebte Zeit verlängern, indem sie sich konstant immer neuen Eindrücken aussetzte. Sie übernachtete eine Woche lang jeden Tag an einem anderen Ort, um mit anderen Menschen etwas zu unternehmen. Es war tatsächlich eine gefühlt lange und intensive Zeit für die Reporterin. Und am Ende war sie völlig erschöpft, ihre Beziehung ging in Brüche. Trotzdem zeigt ihr Beispiel: Horizont erweiternde Erlebnisse kann man auch auf nachhaltige Weise sammeln.