Wer von Fachpersonen umzingelt ist, getraut sich oft nicht, für vermeintlich banale eigene Bedürfnisse einzustehen. | Foto: Heidi Diaz

In der Krebsforschung treffen zwei Welten aufeinander: auf der einen Seite die Wissenschaftlerinnen, die testen wollen, ob neue Therapien die Krankheit heilen oder die Lebenszeit verlängern können. Auf der andern Seite die Patienten, die natürlich ebenfalls länger leben wollen, denen aber auch noch andere Dinge wichtig sind. Sie möchten zum Beispiel eine höhere Lebensqualität während und nach der Behandlung, möglichst wenige Untersuchungstermine im Spital oder auch einfach nur gut verständliches Infomaterial. Solche Anliegen haben Forschende oft nicht auf dem Radar.

Auf Schritt und Tritt durch die Therapie folgen

«Es ist deshalb wichtig, bei klinischen Studien auch Patientinnen eine Stimme zu geben. Nicht weil sie wissenschaftliche Expertise haben, sondern weil sie mit der Krankheit leben», sagt Sabine Rütti Roch, die bei der Swiss Clinical Trial Organisation für die Beteiligung von Patienten zuständig ist. Bei Förderorganisationen ist dies schon Standard: So müssen Forschende, die beim Schweizerischen Nationalfonds Geld für eine klinische Studie beantragen, eine Patientenbeteiligung mit einplanen. Auch die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung hat einen Patientinnenenrat zusammengestellt. Dessen Mitglieder nehmen nicht selbst an den betreffenden klinischen Studien teil, sondern beraten die Forschenden von der Planung bis zum Abschluss einer solchen.

  • Lorenz Tanner (55)
  • Patientenrat
«Eine Biopsie mehr kann schon ein Bremsklotz für die Studienteilnahme sein.»
Vor sechs Jahren erhielt Lorenz Tanner die Diagnose Lymph­drüsenkrebs im Endstadium. Dank einer «Mords-Chemotherapie» ist die Krankheit nicht mehr nachweisbar. Trotz Spätfolgen wie Krebs-Fatigue arbeitet er im Patientenrat der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung mit. «Es geht um ganz realitätsnahe Dinge. Etwa die Sorgen, Ängste und Fragen von Patienten, die über eine Teilnahme an der Studie entscheiden müssen», sagt der ehemalige Personalmanager.

Einmal im Monat gibt der Patientenrat den Forschenden Feedback zu ihren geplanten Studien. «Wenn man für eine Studie eine Biopsie mehr machen muss, kann das schon ein Bremsklotz sein.» Fast immer empfiehlt Tanner, zusätzlich die Lebensqualität zu erfassen: «Die Forschenden denken nicht daran, sie haben ihr Medikament im Fokus. Doch sie merken schnell, dass das einen Mehrwert bringt.» Als Patientenrat prüft Tanner auch, ob das Infomaterial verständlich ist. «In der Behandlung und Forschung wird vielfach eine Sprache gesprochen, die man nicht versteht.» Das weiss er aus eigener Erfahrung.

In der Westschweiz fördert das Laboratoire des Patients die Patientenbeteiligung in der Krebsforschung. Dort läuft gerade eine Studie, bei der unter anderem an Hautkrebs erkrankte Menschen an einer experimentellen Zelltherapie teilnehmen. Es dauert mehrere Monate, bis klar ist, ob die Therapie längerfristig Erfolg hat. «Die Behandlung ist komplex, belastend und mit grossen Unsicherheiten verbunden», sagt Sara Colomer-Lahiguera. Die Pflegewissenschaftlerin leitet eine Begleitstudie mit dem Ziel, die Betreuung während dieser experimentellen Therapie unter Einbindung von Patientinnen, Angehörigen und Gesundheitsfachpersonen zu verbessern.

  • Rosmarie Pfau (73)
  • Patientinnenvertreterin
«Von sich aus würden Forschende nicht unbedingt Betroffene einbeziehen.»
«Krebsforschung hat mir das Leben gerettet», sagt Rosmarie Pfau. «Ohne die Bereitschaft von Patientinnen und Patienten, bei Studien mitzumachen, wäre ich heute wahrscheinlich tot.» Pfau ist 1999 an Lymphdrüsenkrebs erkrankt und seit der Transplantation von eigenen Stammzellen im Jahr 2006 ohne nachweisbare Symptome (in Remission).

Der Krebs prägt immer noch ihr Leben: Sie engagiert sich als Präsidentin einer von ihr gegründeten Organisation für Betroffene von Lymphdrüsenkrebs und Angehörige. Zudem bildete sie sich weiter und vertritt die Patientenperspektive in zahlreichen Gremien. «Von Krebs betroffene Menschen und ihre Angehörigen haben eine gelebte Erfahrung, von denen die Forschung profitieren kann.»

Pfau findet es etwa wichtig, dass Studien auch die Nebenwirkungen und Spätfolgen in den Fokus nehmen. «Wenn man Lebenszeit geschenkt bekommt, dann möchte man sie auch geniessen können.» Sie begrüsst, dass die Patientenbeteiligung nun oft Pflicht ist: «Von sich aus würden Forschende nicht unbedingt Betroffene einbeziehen.»

Auf dem langen Weg durch Abklärungen und Behandlungen folgt das Forschungsteam den Studienteilnehmenden dazu auf Schritt und Tritt. Zudem werden auch Ärztinnen, Pflegende, Laboranten, Forschende und das administrative Personal befragt. Und schliesslich holt Colomer-Lahiguera die Meinung von Fokusgruppen ein, die aus Krebsbetroffenen und Angehörigen bestehen. Aus all diesen Rückmeldungen will ihr Team eine Liste von Empfehlungen erstellen, wie die komplexe Therapie patientenfreundlich gestaltet werden kann. «Und dies möglichst früh, noch bevor die Behandlung zum Standard wird.»

Auch bei dieser Studie helfen Patientinnen beratend mit. Zum Beispiel die Umweltingenieurin Tourane Corbière, die vor zehn Jahren an Knochenmarkkrebs erkrankte. «Meine Geschichte kann jetzt dazu dienen, das Leben von anderen Krebsbetroffenen zu verbessern.» Ihre Aufgaben sind vielfältig: «Ich habe zum Beispiel das Studienprotokoll gelesen und Phasen identifiziert, die besonders belastend sein können. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Begleitstudie deshalb den Bedarf und den richtigen Zeitpunkt für eine psychologische Unterstützung analysieren sollte.» Sie hat auch die Frage aufgeworfen, ob Patientinnen während der Studie weiterhin alternative Heilmittel einnehmen dürfen. «Diese Dinge aus dem realen Leben werden von Forschenden manchmal vergessen.»

Plattform für Patientenräte entsteht

Das räumt auch der Krebsforscher Heinz Läubli ein, der am Universitätsspital und der Universität Basel derzeit für die Koordination von etwa 30 klinischen Studien zuständig ist. «Medizinisch tun wir alles für die Studienteilnehmenden. Das heisst manchmal, dass sie drei Wochen isoliert auf einer Station liegen können. Aber für die Betroffenen ist das natürlich belastend.» Ihm ist es deshalb wichtig, nach den Studien ein Feedback von teilnehmenden Patientinnen zu bekommen. Zudem wird mittlerweile praktisch immer auch die Lebens­qualität erfasst.

«Natürlich sollte man alles tun, was dem Patienten hilft», sagt Alfred Zippelius, Co-Chefarzt Onkologie am Universitätsspital Basel, der ebenfalls klinische Forschung betreibt. Damit seine Patientinnen nicht mit falschen Vorstellungen in experimentelle Studien gingen, nehme er sich viel Zeit, mit ihnen die Aufklärungsbögen durchzugehen. Eine Konsultation mit Patientenräten bei jeder klinischen Studie hält er jedoch für nicht praktikabel: «Wenn das den ganzen Apparat zusätzlich aufbläht und eine Studie behindert, dann ist das nicht sinnvoll.» Seiner Ansicht nach müsste man sich auf ein paar grundsätzliche Dinge einigen, etwa auf einen runden Tisch.

«Die Sache nimmt langsam Fahrt auf, auch wenn wir noch nicht so weit sind wie beispielsweise Grossbritannien.»Sabine Rütti Roch

Genau daran wird derzeit gearbeitet. «In der Schweiz gibt es aktuell über 60 verschiedene Initiativen, an verschiedenen Orten und auf verschiedenen Ebenen», sagt Sabine Rütti Roch. «Jetzt wollen wir das ­näher zusammenbringen.» Dazu gehört auch die Entwicklung einer Plattform, wo Forschende für ihre Studien Patientenrätinnen finden können – denn davon gibt es noch nicht genug. Neu laufen deshalb in der Schweiz auch die Eupati-Kurse, wo Interessierte als Patienten­experten ausgebildet werden. Sie lernen etwa, wie klinische Forschung funktioniert und welche wissenschaftlichen Standards Forschende einhalten müssen.

«Die Sache nimmt langsam Fahrt auf, auch wenn wir noch nicht so weit sind wie beispielsweise Grossbritannien», so Rütti Roch. «Wenn die Studien patientinnenfreundlicher werden, wird es in Zukunft ­vielleicht auch einfacher sein, genügend Studienteilnehmende zu rekrutieren und diese bei der Stange zu halten.» Nur so kann die Krebsforschung Fortschritte machen.