BUCHKUNST
Breites Purpurspektrum steht für Sprachreichtum
Eine Röntgenanalyse enthüllt die unglaubliche Vielfalt an Farben in einem mittelalterlichen Manuskript, ohne Schäden zu hinterlassen.
Der Dagulf-Psalter, ein reich verziertes Psalmenbuch, gehört zu den prächtigsten Handschriften aus der Zeit Karls des Grossen. Nun hat ein europäisches Team Tinten, Farbstoffe und Pigmente des Manuskripts aus dem 8. Jahrhundert erstmals mittels Röntgenfluoreszenzanalyse untersucht. Dafür wurden rund 70 Punkte geröntgt, die etwa einen Millimeter gross sind. Die Fachleute wendeten nicht invasive Verfahren an, um das wertvolle Stück auf Kalbshaut-Pergament zu schützen.
Für die Schrift wurden Gold und Silber in reiner Form verwendet. Im Silber gefundene Chlorverbindungen und dunkle Verfärbungen weisen zudem auf schädliche Korrosionsprozesse hin. Für die Initialen und die geschmückten Zierseiten wählte der Schreiber offenbar drei Farben: Purpur aus dem Stoff Orchil von Flechten, dunkles Blau aus pflanzlichem Indigo und hell leuchtendes Blau aus Lapislazuli. Dazu kamen Mennige, Ocker, Zinnober, Auripigment und Bleiweiss in kleineren Mengen.
«Die Menschen im Mittelalter legten Farben nicht auf einen bestimmten Ton fest, sondern nahmen sie innerhalb eines Spektrums von Glanzeffekten wahr», sagt der Kunsthistoriker Thomas Rainer von der Universität Zürich. Dabei wirkten Faktoren wie Material und Lichteinfall mit. Farben standen zudem für unterschiedliche Inhalte, so auch im Dagulf-Psalter: «Der Farbreichtum des Purpurs mit seinen Tönungen und Schattierungen wurde mit dem Reichtum der Sprache der alttestamentlichen Psalmen verknüpft.»