Im Mendrisiotto im Tessin stehen im Juli 2022 ein Wasserbassin und ein Tankwagen zu Bewässerung der Felder und Reben bereit. | Foto: Keystone/Pablo Gianinazzi

Wenn es eine Ressource gibt, die in der Schweiz in nahezu unerschöpflichen Mengen vorhanden ist, dann das Wasser. Gletscher, Schneeschmelze, riesige Grundwasserströme, Seen sowie die Alpen, die ­Wolken zuverlässig abregnen lassen – dieses Land ist die reinste Wasser­fabrik. Doch ihre Produktion kommt mit dem Klimawandel ins Stocken. In den Sommermonaten muss auch hierzulande mit Trockenheit und sogar Dürre gerechnet werden. Das macht Konflikte um die Wassernutzung absehbar.

Aargau macht vorwärts

Bund, Kantone und Gemeinden beeilen sich nun in Zusammenarbeit mit der Forschung, dem drohenden Streit um eine vormals unendlich scheinende Ressource zuvorzukommen – und dem Mangel mit Gegenmassnahmen beizukommen. An den Schaltstellen der zuständigen Behörden sitzen oft ehemalige Forschende. Neben Expertise bringen sie auch Sachlichkeit in die emotionalen Diskussionen ein.

Bis vor zwei Jahrzehnten war es noch unvorstellbar, dass Wasser in der Schweiz knapp werden könnte. «Man hatte das weder in der Wissenschaft noch bei den Behörden auf dem Radar», sagt Massimiliano Zappa, Hydrologe bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Doch dann kam der Jahrhundertsommer 2003. «Das war ein Aha-Moment. Da hat man erkannt, dass Wasserknappheit auch hierzulande eine Naturgefahr darstellen kann.»

« Landwirte stehen mit Privathaushalten und der Industrie in direkter Konkurrenz.»Petra Schmocker-Fackel

Heute wissen Forschung und Behörden dank den Klimamodellen recht genau, was auf uns zukommt. Demnach klaffen Angebot und Nachfrage im Mittelland am weitesten auseinander – dort, wo auch das meiste Wasser gebraucht wird. Letztes Jahr präsentierte die Forschungsanstalt Agroscope die Studie «Klimaresilienter Ackerbau 2035». Die Zahlen sind eindrücklich. Wenn keine Massnahmen unternommen werden, gehen die Modelle von einer Abnahme der Abflüsse – also des in den Flüssen transportierten Wassers – um bis zu zwanzig Prozent im Mittelland aus. In der Zentralschweiz und den Alpen um sogar bis zu vierzig Prozent.

Gleichzeitig steigt der Bewässerungsbedarf massiv an. Bei Kulturen wie Obst, Beeren oder Gemüse könnte er in den nächsten Jahrzehnten je nach Klimaszenario und Region zwischen 50 und 300 Prozent steigen. Das birgt ein grosses Konfliktpotenzial mit anderen Nutzenden. So stehen Landwirte mit Privathaushalten und der Industrie in direkter Konkurrenz. «Darum haben viele Kantone eine Wasserstrategie erarbeitet oder arbeiten an einer solchen. Darin können sie auch Regeln zur Zuteilung bei Knappheit festlegen», sagt Petra Schmocker-Fackel von der Abteilung Hydrologie beim Bundesamt für Umwelt. Sie hat vormals als Wissenschaftlerin in Gebirgshydrologie geforscht.

«Jedes Jahr musste ich den Bauern im Bünztal ab Mai und Juni das Wasser abstellen.»Norbert Kräuchi

Ein Vorreiter in Sachen Wassermanagement ist der Kanton Aargau. Dort ist man gerade dabei, eine kantonale Strategie zu erarbeiten, sagt Norbert Kräuchi, Leiter der Abteilung Landschaft und Gewässer. Der Umweltwissenschaftler ist spezialisiert auf den Einfluss des Klimawandels auf Waldökosysteme. Auslöser des Projekts war die jährlich wiederkehrende Wasserknappheit der Bünz, eines mittelgrossen Flusses im Süden des Kantons. Er fliesst durch intensiv bewirtschaftetes Ackerland und dient der Landwirtschaft zur Bewässerung.

Doch der Bedarf übersteigt ihre Kapazität. «Jedes Jahr musste ich den Bauern im Bünztal ab Mai und Juni das Wasser abstellen, damit die gesetzliche Mindestmenge in der Bünz nicht unterschritten wurde», sagt Kräuchi. Die Interessen von Gewässerökologie und Landwirtschaft kollidierten.

Neue Kulturen, die vor der Sommerdürre reifen

Um dieses Problem anzugehen, lancierte der Kanton zusammen mit dem Bund ein Projekt zum Thema Landwirtschaft und Bewässerung. Der Fokus im Bünztal richtete sich auch auf die angebauten Kulturen. «Wir schauten uns an, wofür das Wasser verwendet wird. Es stellte sich heraus, dass 90 Prozent der Fläche als nicht bewässerungswürdig galt», sagt Kräuchi. Das bedeutet, dass die Kosten für die Bewässerung höher sind als die dadurch erzielten Ertragsgewinne. Das ist beispielsweise bei Raufutter wie Gras der Fall. Darum sollte der Effort auf die sogenannten bewässerungswürdigen Kulturen wie Gemüse, Obst oder Beeren konzentriert werden. Sie haben eine grosse Wertschöpfung. «Wasser aus der Bünz ist allerdings so günstig im Vergleich zum Trinkwasser, dass sich die Landwirtinnen und Landwirte solche Überlegungen bisher gar nicht machen mussten», sagt Kräuchi.

«Heute weichen sie deswegen bei sistierten Entnahmebewilligungen aus der Bünz häufig auf die öffentliche Wasserversorgung aus. Diese stösst jedoch vielerorts auch an ihre Grenzen», sagt Kräuchi. Darum haben 19 Gemeinden das Projekt «Wasser 2035» lanciert, das die kommunalen Versorgungen mit einer grossen Ringleitung zusammenschliessen soll. «Sie sollte bis 2035 gebaut sein und die über­regionale Wasserversorgung sicherstellen», sagt Kräuchi. «Die Landwirtschaft an den Klimawandel anzupassen, wird wohl länger dauern.» Die Erkenntnis, dass dieser Prozess aktiv angegangen werden muss, sei in den vergangenen Jahren jedoch deutlich gestiegen.

«Wir müssen es fertigbringen, das Winterwasser in den Sommer zu retten.»Klaus Lanz

Ein weiterer Ansatz will die Bewässerungsbedürftigkeit reduzieren, also möglichst Kulturen anbauen, die auch ohne oder mit wenig Bewässerung auskommen. Das könnten beispielsweise frühreife Sorten sein, wie sie bereits im Mittelmeerraum angebaut werden. Sie werden vor der grossen Sommertrockenheit bereits geerntet. Doch das Bewusstsein für solche Möglichkeiten ist noch wenig verbreitet. Das zeigt die schweizweite Entwicklung beim Wasserbedarf in der Landwirtschaft. Gemäss Bericht «Klimaresilienter Ackerbau 2035» wird erwartet, dass sich der Anteil der bewässerungsbedürftigen landwirtschaftlichen Flächen von heute 50 Prozent auf etwa 70 Prozent bis 2035 ausdehnen wird.

Dass die Wassermengen in den Flüssen abnehmen, hat vor allem mit den reduzierten Schneemengen zu tun. «Das ist eines der Hauptprobleme in einem wärmeren Klima», sagt Klaus Lanz, Inhaber von International Water Affairs, einem unabhängigen Institut für Wasserforschung. Er berät Kantone und Bund in Sachen Wasserkonflikte. «Immer weniger Niederschlag wird im Winter in Form von Schnee oder Eis gespeichert. Dieses Wasser fehlt uns im Sommer und im Herbst. Wir müssen es also auf andere Weise fertigbringen, das Winterwasser in den Sommer zu retten.»

Grosse Wasserspeicher anlegen

Ein grosses Potenzial sehen die Kantone derzeit in lokalen Wasserspeichern. Das sind künstlich angelegte Becken mit einem Fassungsvermögen von rund zehntausend Kubikmetern. Im Kanton Basel-Landschaft hat man sich eingehender mit ihnen befasst, denn er ist besonders stark von sinkenden Abflussmengen der Flüsse betroffen. «Im Karst versickert das Wasser schnell. Wir haben in Zukunft nur noch wenig Oberflächenwasser in den trockenen Sommermonaten», sagt Wasserexperte Adrian Auckenthaler, Leiter Gewässer vom Amt für Umweltschutz und Energie Basel-Landschaft.

Die Speicher müssen zwei bis drei Meter tief ausgebaggert werden. Danach werden sie mit einer Folie ausgelegt. Die Befüllung erfolgt, wenn es Wasser im Überfluss gibt, wie im Winter oder im Frühjahr. «Die Idee ist, dass man die Becken aus den Flüssen, dem Grundwasser oder mit Regenwasser speist», so Auckenthaler.

«Die Idee ist, dass man die Becken aus den Flüssen, dem Grundwasser oder mit Regenwasser speist».»Adrian Auckenthaler

Im Kanton sind erst wenige solche Speicher in Betrieb. Sie dienen vor allem der landwirtschaftlichen Bewässerung. «Die Landwirte müssen sie auf eigene Kosten erstellen. Es sind vor allem die Obstbauern, denn sie sind auf Wasser angewiesen. Bei den anderen Kulturen ist der Druck meist noch nicht gross genug», sagt Auckenthaler. In Zukunft könnten solche regionalen Speicher auch weitere Funktionen haben wie Trinkwasserversorgung oder Sicherstellung von Abflussmengen in Bächen.

Solche Mehrzweckspeicher müssten aber ein viel grösseres Fassungsvolumen aufweisen. In den Alpen denkt man bereits über sie nach. Kosten und Nutzen werden jedoch sehr sorgfältig abgewogen. Denn im Gebirge ist der Bau von grossen Speicherseen aufwendig und teuer. Das zeigt das Beispiel des Speichersees Nagens im bündnerischen Flims. Er war bislang allein für die Beschneiung der Skipisten im Winter gedacht.

Bei Trockenheit soll die Wasserhoheit zu den Kantonen

«Man hat geprüft, ob er auch für die Wasserrückgabe in die Flem bei trockenen Sommern oder für die Tagesspeicherung von Solarstrom energetisch multifunktional nutzbar wäre», sagt Marco Illien, Geschäftsführer der Flims Electric, die zusammen mit den umliegenden Gemeinden am Projekt beteiligt war. Dazu wäre aber unter anderem eine Erhöhung des Fassungsvermögens des Speichers nötig gewesen. «Ein solches Bauprojekt wäre jedoch in die Millionen gegangen und für uns weder wirtschaftlich rentabel noch finanziell tragbar gewesen.»

Zukünftige Konflikte um Wasser versuchen die Kantone mit ihren neuen Strategien zu entschärfen. «Mit der regionalen Versorgungsplanung steuern wir die Grundwasserentnahmen für den Trink­wasserkonsum oder für Brauchwasser. Die Gesetzgebung gibt vor, ­welche Wassermengen in den Flüssen verbleiben müssen», erläutert Auckenthaler. Die Idee ist also, mithilfe von Regelwerken die Wassernutzung der einzelnen Akteure aufeinander abzustimmen. Das ist leichter gesagt als getan. Denn im Moment liegt die Wasserhoheit in vielen Kantonen noch bei den Gemeinden.

«Unser Ziel ist es, dass wir einen Monat im Voraus sehen, wer wie viel Wasser brauchen wird.»Massimiliano Zappa

Doch gerade bei einer schweren Trockenheit, die weite Landesteile betrifft, ist das unpraktisch. «Wir müssen diskutieren, ob in einem solchen Fall nicht der Kanton die Hoheit temporär übernehmen sollte. Bei Waldbrandgefahr ist das ja auch so. Da entscheidet der Kanton über Feuerverbote im Freien», sagt Kräuchi von Landschaft und Gewässer Aargau. Dass Trockenheit auch zunehmend auf nationaler Ebene behandelt wird, zeigt der aktuelle «Katalog der Gefährdungen» vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz. Das rund achtzig Seiten starke Schrift-stück erörtert alle potenziellen Gefahren für die Schweiz vom Tsunami in Seen bis zu Desinformationskampagnen. Neu ist auch die Trockenheit aufgeführt.

Datenbank zu Wasservorrat

Bereits heute können Warnmeldungen betreffend Trockenheit über Alertswiss, das System des Bundes, verbreitet werden. Es funktioniert unter anderem via Handy-App und Webseite, die bei einer extremen Trocken-heitslage eine Meldung herausgeben. «Wie man konkret auf eine Warnmeldung reagieren soll, wird gerade zwischen Bund und Kantonen diskutiert», erklärt Zappa, der Hydrologe vom WSL.

Was es dazu noch braucht, sind Daten. «Wir arbeiten aktuell an einer Datenbank zur Vorhersage der gegenwärtigen Wasservorräte und der Dokumentation von Trockenheit-Auswirkungen.» Eine experimentelle Variante davon ist bereits auf der Plattform drought.ch online geschaltet. Was noch fehlt, ist eine Vorhersage oder Messung der aktuellen Nutzung auf Landesebene. In Zukunft soll die Datenbank aufzeigen, von wem und wo gerade wie viel Wasser benötigt wird und welche Konflikte dadurch entstehen könnten. So zumindest die Vision. «Unser Ziel ist es, dass wir einen Monat im Voraus sehen, wer wie viel Wasser brauchen wird. Dann können wir allfällige Nutzungskonflikte schon anpacken, bevor sie auftreten», so Zappa.