REIBUNG
Darüber grübelte schon da Vinci
Reibung, eine der Grundbedingungen der Physik, birgt noch viele Rätsel. Nun ist es einem Forscher gelungen, sie besser zu verstehen.
Die vielen Rätsel, die das physikalische Phänomen der Reibung noch birgt, lassen an Dan Browns Bestseller «The Da Vinci Code» denken. Denn es war gerade Leonardo da Vinci, der vor fast sechshundert Jahren als Erster die Reibungskräfte quantifizierte. Seither haben sich viele Forschende die Zähne daran ausgebissen, die Gesetzmässigkeiten zu erkennen, wenn ein Körper über einen anderen gleitet.
Trotz gewisser Fortschritte ist es bis heute niemandem gelungen, diesen Code vollständig zu knacken und zum Beispiel die Reibung korrekt vorherzusagen, die durch die Wechselwirkungen von zwei rauen Oberflächen entsteht, die sich berühren. Aber davon liess sich Tom de Geus, Doktor der Maschineningenieurwissenschaften an der EPFL, nicht abschrecken. Im Zentrum seiner Forschungsarbeit steht ein Phänomen, das der Forscher schmunzelnd als «schwarze Magie» bezeichnet. Damit meint er die rätselhafte Kraft, die überwunden werden muss, damit sich ein Objekt plötzlich in Bewegung setzt.
Bei all den dunklen Rätseln könnte man erwarten, dass die Reibung als Thema in einer akademischen Schublade verborgen bleibt, erfahrenen Physikerinnen und Physikern vorbehalten. Erstaunlicherweise gehört sie aber zu den ersten Themen des Physikunterrichts in der Schule. Dabei wird etwa beobachtet, ab welcher Neigung ein auf einem Brett stehendes Objekt plötzlich rutscht oder rollt. Oder es wird die Kraft gemessen, bei der sich ein von einer Feder gezogener Ziegelstein plötzlich in Bewegung setzt.
«Reibung ist ein grundlegender Begriff, denn sie liefert die Kräfte, die beispielsweise einer Schub- oder Zugkraft entgegenwirken», erklärt Veronique Trappe, Forscherin am Departement für Physik der Universität Freiburg. «Ohne Reibung würden wir nur gleiten, und es wäre uns nicht möglich, in Bewegung zu kommen, ausser mit einem Triebwerk.» – «Die Reibung steht im Mittelpunkt alltäglicher Bewegungsabläufe und Aktivitäten», fügt de Geus hinzu. «Wenn es keine Reibung gäbe, könnten wir nicht gehen, uns nicht fortbewegen, und viele unserer Interaktionen in oder mit unserer Umwelt wären unmöglich.»
Statistik bringt die Einsicht
Obwohl sie so grundlegend für das Funktionieren unseres Planeten und der Menschheit ist, stellt uns die Reibung vor grosse Herausforderungen. «Durch sie verlieren etwa Getriebe von Maschinen eine nicht unerhebliche Menge an Energie», so de Geus.
Hier kommen Schmiermittel ins Spiel, mit denen die Reibung verringert werden kann. Ein grösseres Problem sind Erdbeben: «Die meisten entstehen durch das Aneinanderreiben tektonischer Platten.» So war denn auch eine der Hauptmotivationen des Forschers, durch Vorhersagen einen Beitrag zur Erdbebenprävention zu leisten.
«Ich glaube, ich habe das Problem der Vorhersage der ‹schwarzen Magie› gelöst», freut sich de Geus. Dabei habe er allerdings das Glück gehabt, sich auf bestehende Forschungsarbeiten sowie auf komplexe numerische Computersimulationen stützen zu können. Seine Lösung berücksichtigt sowohl das kollektive Nachgeben von Unebenheiten an der Oberfläche – wie wenn sich der Zustand von Wasser beim Verdampfen plötzlich ändert – als auch deren mechanische Instabilität – wie wenn sich ein Bruch im Eis plötzlich ausbreitet. Durch die Kombination der beiden Phänomene lasse sich die Reibungskraft vorhersagen.
Massgebend für diese Entdeckung, die er als Glücksfall bezeichnet, war eine Begegnung mit einem Forscher in statistischer Physik, der ihm diese Disziplin näherbrachte. «Erst die Kombination von Maschinenbau und statistischer Physik machte es möglich, ein einfaches und innovatives Modell zu entwickeln», analysiert de Geus. Laut Trappe, die nicht an der Arbeit des EPFL-Forschers beteiligt war, sind diese Ergebnisse «wichtig, um unser Verständnis von Reibung voranzubringen». Die Zukunft wird zeigen, ob die Forschenden mit diesem Werkzeug den «Da Vinci Code» endgültig knacken können.