Die Professorin in Männerclubs zwischen Technik und Wirtschaft Sita Mazumder analysiert mit ihrem Team die Daten von Unternehmen auf die Qualität. | Foto: Gabi Vogt

«Dieser Monat wird taff! Besonders heute.» Sita Mazumder holt tief Luft und schnauft aus. «Und das, obwohl ich den ganzen Tag nur auf dem Sofa sitze.» Herzhaftes Lachen. Bei der Betriebsökonomin stehen bis abends Calls an. Die Einladung zu diesem Interview schickte sie kurz nach morgens um fünf Uhr raus. Am liebsten sitzt sie im Homeoffice wenigstens gemütlich auf der Couch. Mit Block und Schachteln voller Stifte – symmetrisch aufgereiht. Sie sei «überordentlich», weil «zu doof fürs Chaos». Mazumder grinst. Falls doch mal Unordnung herrsche, hiesse das: «Sita in Alarm!» Dann sei sie wirklich unter Wasser. Jetzt nimmt sie nur einen Schluck davon.

Kein Wunder, sind Mazumders Tage so vollgepackt wie drei. Sie hat ja auch drei Hüte an: Als Professorin unterrichtet und forscht sie an der Hochschule Luzern, als Unternehmerin führt sie ihre Beratungsfirma, und als Verwaltungs- und Aufsichtsrätin bringt sie ihr Wissen in Führungsgremien von Unternehmen ein. «Diese drei Bereiche – Academia, Unternehmertum und Boards – sind gegenseitig befruchtend », sagt sie.

Studium und Doktorat im Schnellzugstempo

Sita Mazumder (54) ist Professorin an der Hochschule Luzern und leitet dort das Digital Business Development Lab. Sie hat zuerst Informatik-Ingenieurwissenschaften an der ETH Zürich und danach Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich studiert. Sie schloss das Studium in Minimalzeit ab, obwohl sie nebenher zu 80 Prozent bei einer Bank arbeitete. Danach folgte ein Doktorat am Swiss Banking Institute, das sie in nur zwei Jahren abschloss. Mit ihrer Firma berät sie Unternehmen strategisch. Zudem sitzt sie in zahlreichen Gremien als Verwaltungs- und Aufsichtsrätin.

In die Quere kämen sie sich nicht. «Ich trenne die Jobs strikt.» Wenn jemand aus einem Unternehmen, in dem sie tätig sei, eine konkrete Idee für ein Forschungsprojekt habe, vermittle sie andere Forschende dafür und nähme sich selbst zurück. «Ausser es wird ausdrücklich gewünscht, dass ich dabei bin. Dann muss das im Forschungsprojekt auch so transparent gemacht werden. Auch aus Eigenschutz, um meine Freiheit und Unabhängigkeit zu wahren.»

Mazumder beschäftigt sich in ihrer Forschung mit Phänomenen rund um neue technologische Möglichkeiten; derzeit vor allem mit künstlicher Intelligenz und Digitalisierung, aber auch mit Themen wie Cybercrime, Geldwäsche, Korruption oder Terrorismusfinanzierung. Seit sie Doktorandin war, fokussiert sie auf Anwendungen in diesen Bereichen. Das Thema ihrer Dissertation: Wie Schweizer Banken mit kriminellen Geldern umgehen sollen.

Ganz konkret gegen Korruption

Mazumders Ansatz war damals neu, weil sie konkrete Handlungsempfehlungen für Ökonomen zum frisch eingeführten Korruptionsstrafrecht erarbeitete. Davor hatten sich vor allem Juristinnen mit der Thematik beschäftigt. «Ich wollte wissen: Was bedeutet es ganz konkret für die Businessprozesse? Was ist zu tun, um dem Gesetz Genüge zu tun und optimal strukturiert zu sein?

Viele fanden das unnötig und rieten mir vom Thema ab.» Sie setzte sich durch und ging weiter ihren ungewöhnlichen Weg – bewusst an der Fachhochschule: «Weil ich eben nicht in der Grundlagenforschung tätig sein wollte, sondern angewandt mit Firmen und in Projekten, die einen direkten Niederschlag in der Wirtschaft finden», so Mazumder.

«Viele Stereotype halten sich hartnäckig. Auch heute noch. Das wollte ich analysieren.»

Als Frau im Boys Club zwischen Technik und Wirtschaft hat sie sich schon einiges anhören müssen. Zum Beispiel die Frage, warum sich so «ein nettes Fräulein mit so schwierigen Themen» beschäftige. Oder bei einer Veranstaltung, ob sie den Kaffee bringen könne. Weil es für manche unvorstellbar war, dass es sich bei der jungen Frau nicht um die Assistentin handle.

Auch der Jahresforschungspreis, den sie von der Universität Zürich für die Doktorarbeit erhielt, sei nicht unkommentiert geblieben: «Ein Kollege fragte mich, mit wem ich denn dafür was gehabt hätte.» Vor Jahren hat Mazumder eine Buchreihe über Frauenkarrieren mit herausgegeben. «Viele Stereotype halten sich hartnäckig. Auch heute noch. Das wollte ich analysieren.»

«Wenn ich mit 54 Jahren im Board einer Firma das Küken bin, setze ich mich dafür ein, dass sich das ändert.»

Im Rückblick sagt sie: «Mein Anderssein wurde sehr auf das Geschlecht reduziert. Für mich ist das aber nur ein Aspekt von vielen: Heute setze ich mich für bewusste Diversität ein. So vermittle ich zwischen den Generationen, zwischen Ökonomie und IT: den Nerds und den Anzugträgern. Be nice to nerds!» Herzhaftes Lachen.

Es sei manchmal herausfordernd, wenn sie aus den Jeans in die Anzughosen schlüpfe, um zwischen den Welten zu wandeln. Doch nur in der Zusammenarbeit auf Augenhöhe könnten Projekte gelingen. «Und wenn ich mit 54 Jahren im Board einer Firma das Küken bin, setze ich mich dafür ein, dass sich das ändert. Sonst arbeiten wir komplett an der Gesellschaft vorbei.»

Plötzlich exotischer Liebling

Mazumder fällt auf und ist für Medien interessant. Sie gilt als Vorbild dafür, dass man es als Frau – und dann noch mit Migrationshintergrund – in einer Männerdomäne schaffen kann. Bezeichnungen wie Überfliegerin, Wunderweib oder gar Superfrau, die in diesen Artikeln gern verwendet wurden, möchte sie nicht mehr lesen.

«Das sind Komplimente, aber ich erkenne mich darin nicht. Es verlief nicht alles geradlinig, und es hat nicht alles geklappt. Mir macht einfach Spass, was ich tue. Darum gebe ich viel hinein, auch wenn es manchmal stressig oder belastend ist. Aber», fügt sie fröhlich an, «positiver Stress lässt sich managen. Auch Monate und Tage wie diese gehen vorbei. Alles geht vorbei.»

«Du wirst in den Spind eingeschlossen und wartest im Dunkeln? Das geht vorbei.»

Alles geht vorbei? Ein nützliches Mantra aus der Kindheit. Im tiefsten Aargau der Siebzigerjahre, als es noch kein Internet gab und künstliche Intelligenz höchstens in Science-Fiction wütete. Als Tochter eines dunkelhäutigen, indischen Vaters und einer hellhäutigen Mutter mit französischen Wurzeln kommt sie in Kindergarten und Primarschule nicht gut an. Mag sein, dass das Mädchen darum entschied, es allen zu zeigen. Mazumder erinnert sich: «Du wirst in den Spind eingeschlossen und wartest im Dunkeln? Das geht vorbei. Du wirst auf dem Schulhof verprügelt? Auch das geht vorbei. Du liest: Sita hat Haut wie Dreck. Geht vorbei.»

In der Mittelschule dann plötzlich der Umschwung: «Als Teenager wurde ich als exotisch bewundert.» Sie lernt: Kritik, aber auch Hypes ändern sich. «Aber ich bin, wer ich bin. Man sollte sich nichts darauf einbilden, wenn man der Liebling ist. Und: sich nicht kaputtmachen lassen, wenn man drunterkommt. Das macht unabhängig, demütig und bodenständig.»

Und dann noch ein Flugzeug fliegen

Schliesslich hebt sie doch noch ab – buchstäblich. Mit 16 Jahren fasst sie allen Mut zusammen, klemmt sich ein Kissen hinter den Rücken, um mit den Füssen an die Pedale zu kommen, und lernt fliegen. «Ich bin ein 1,53 Meter kleiner Sitzriese mit Kissen. Geschafft habe ich die Privatpilotinnenlizenz trotzdem. Man muss es einfach machen.»

Neues nimmt Sita Mazumder immer wieder in Angriff – bis heute. Derzeit baut sie das Digital Business Development Lab an der Hochschule Luzern mit auf: «Wie bei einer Zimmermannspinne bildet das kleine Kernteam aus KI-Expertinnen und -Experten den festen Körper, die Arme führen zu anderen Labs und Partnern – je nach Projekt. So sind wir flexibel und passgenau. September war Startschuss.» Ziel ist, Firmen beim Umgang mit Technologien zu unterstützen.

«Die Leute glauben einen Datenschatz zu haben und müssen dann leider feststellen, dass es nur ein Sandhäufchen ist.»

Konkret hat Mazumder unter anderem bereits einen Auftrag aus dem Gesundheitsbereich in der Pipeline. «Das Projekt steht stellvertretend für viele im Bereich KI. Ich sehe dort dasselbe Phänomen, das ich auch als Verwaltungsrätin und Unternehmerin beobachte: Es kursieren falsche Vorstellungen darüber, welche Daten es in welcher Qualität braucht, um das festgelegte Ziel zu realisieren.» Die Leute glauben einen Datenschatz zu haben «und müssen dann leider feststellen, dass es nur ein Sandhäufchen ist». Mazumder und ihr Team durchkämmen also Daten mit Blick auf einen bestimmten Fall etwa in einer Firma und lassen Systeme spezifisch dafür lernen.

Daten und Algorithmen sind das eine, Menschen und ihre Ängste vor Veränderungen das andere: «Man muss die Leute mitnehmen auf die Reise. Ihnen in die Augen schauen und sie fragen: Was bewegt dich? Was blockiert dich?» Auch dabei soll das Lab unterstützen. Vielleicht helfen auch da die eigene Erfahrung und das Mantra: «Alles geht vorbei.» Es gilt einfach mutig, offen und sich selbst zu bleiben.