Fokus: Forschung für den Frieden
Wissenschaft ist keine Friedenstaube
Forschung ist Teil der Kriegsmaschinerie, profitiert sogar oft von ihr. Doch sie rettet auch Leben, schreibt Co-Redaktionsleiterin Judith Hochstrasser.

Forschung brachte auch Atomwaffen hervor. Am Ostermarsch 1966 von Andelfingen nach Zürich protestierten die Teilnehmenden gegen Bestrebungen der Schweiz, Atombomben ins Arsenal aufzunehmen. | Foto: Fritz Grunder / Photopress-Archive / Keystone
Das Ideal klingt schön: Wissenschaft fördert kompetent die weltumspannende friedliche Zusammenarbeit. Das Ideal ist aber zu schön, um wahr zu sein. Sobald ein Konflikt in die heisse Phase tritt, verpufft die Wirkung von Wissenschaftsdiplomatie. Dies zeigen etwa die Entwicklungen rund um den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Seither wurden Kooperationen mit russischen Forschungsinstitutionen massenweise aufgekündigt.
Bestimmte Forschungsprojekte dagegen mögen im Kleinen etwas bewirken. Zum Beispiel, wenn sie zeigen können, dass Uno-Truppen mit lokalen Truppen zusammenarbeiten sollten, um regionale Konflikte möglichst effektiv zu beruhigen. Doch solche Projekte sind nur allerkleinste Zahnrädchen im Getriebe des Weltgeschehens. Am Ende bestimmt die Politik über Krieg und Frieden.
Nüchtern betrachtet ist Forschung auch Teil der Kriegsmaschinerie. Sie entwickelt neue Waffen, von der Atombombe bis hin zur ferngesteuerten Drohne. Sie profitiert sogar oft von Krieg: Regierungen investieren schliesslich gern in Projekte, die dem Land zu militärischer Überlegenheit und damit zu einem Sicherheitsgefühl verhelfen könnten. Das scheint deprimierend. Doch Wissenschaft ist bei Weitem nicht der einzige Bereich, der durch Gewalt und Leid gewinnen kann. Kreatives Schaffen etwa kann sich mit aufhetzender Propaganda paaren, so geschehen im Nazi-Film «Jud Süss». Auch Meisterwerke, die sich gegen Krieg und Vernichtung stellen, wie die Lithografie «Die Mütter» von Käthe Kollwitz oder das Gedicht «Todesfuge» von Paul Celan, sind aus diesen heraus entstanden.
Und dennoch: Sowohl Kunst als auch Wissenschaft können Tote verhindern. So soll der Film «The Day After» dazu beigetragen haben, dass es zu keinem Atomkrieg zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion kam. Mitten im Zweiten Weltkrieg hat Forschung Antibiotika entwickelt, die dann rund um den Globus Leben gerettet haben. Ohne idealistisch verstellten Blick wird klar: Wissenschaft ist eine Medaille mit zwei Seiten, wie eigentlich jede menschliche Fähigkeit. Warum sollte sie allein nur zum Guten berufen sein?