Führungswechsel: Matthias Egger (links) hat Ende 2024 das Forschungsratspräsidium des SNF Torsten Schwede in die Hände gelegt. | Foto: Fabian Hugo

Matthias Egger, Sie waren acht Jahre als Forschungsratspräsident des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) im Amt. Was war Ihr grösster Erfolg?

Der SNF hat sich erheblich weiterentwickelt, wobei Teamwork stets der Schlüssel war. Als grössten Erfolg sehe ich die Wandlung zu einer modernen, evidenzbasierten Organisation. Die früheren Strukturen stammten teilweise aus den 1970er-Jahren. Wichtige Neuerungen sind et­wa, dass die Forschungsräte mehr Kompetenzen haben, über die politische Strategie des SNF zu bestimmen. Oder dass Hochschulen und andere wissenschaftliche Institutionen in der Delegiertenversammlung ihre Meinungen einbringen können.
Bei der Vergabe von Fördergeldern orientieren wir uns an den Best Practices der Evaluation: Projektbewertungen und Förderentscheide werden getrennt, was den Prozess fairer und transparenter macht. Weiter soll inter- und transdisziplinäre Forschung mehr Beachtung finden. Bei solchen Projekten arbeiten Forschende verschiedener Disziplinen mit Fachleuten aus der Praxis, um komplexe Probleme wie nachhaltige Entwicklung anzugehen.

Bild: Nicolas Brodard/SNF

Der SNF hat auf Ihre Initiative die eigene Förderarbeit wissenschaftlich untersuchen lassen. Was hat das gebracht?

Wir haben Studien wie die Career Tracker ­Cohorts gestartet, um die Entwicklung junger Forschender zu verfolgen. Ein weiteres Beispiel betrifft das Peer-Review. Die Analysen zeigen, dass männliche Gutachter Frauen eher kritischer bewerten als Männer. Frauen hingegen beurteilen männliche und weibliche Antragstellende weitgehend gleich. Diese Erkenntnis fliesst nun in das Training der Gremien ein, welche die Projekte evaluie­ren. Weiterhin arbeiten wir auch daran, mithilfe von künstlicher Intelligenz den Inhalt der Peer-Review-Berichte zu analysieren. Das Ziel ist es, die Qualität der Begutachtungen zu verbessern.

«Die Kultur, die den Namen des Journals über die Qualität und den Einfluss des eigentlichen Artikels stellt, muss sich ändern.»Matthias Egger

Open Science war Ihnen ein grosses Anliegen. Sind Sie zufrieden damit, wo die Forschung hierbei steht?

Der Anteil der Open-Access-Publikationen aus vom SNF geförderten Forschungsprojekten konnte von 50 auf über 80 Prozent erhöht werden. Diese sind somit weltweit frei zugänglich. Dennoch bleibt ein grundlegendes Problem bestehen: Die Steuerzahler zahlen doppelt – einmal für die Forschung und ein zweites Mal für den Zugang zu den Ergebnissen. Derzeit übernimmt der SNF die Gebühren, die Forschende an Verlage für Open-Access-Publikationen zahlen müssen. Ich hoffe, der SNF kann sich daraus bald zurückziehen, damit diese Mittel direkt in die Forschung investiert werden können. Das Kernproblem liegt bei der Publikationsindustrie, die auf Prestige basiert und weiterhin hohe Preise verlangen kann. Diese Kultur, die den Namen des Journals über die Qualität und den Einfluss des eigentlichen Artikels stellt, muss sich ändern.

Während der Pandemie hatten Sie als Leiter der wissenschaftlichen Taskforce eine zentrale Rolle. Was würden Sie heute anders machen?

Ich würde neben den damaligen zehn Expertengruppen eine zusätzliche Gruppe für politische Kommunikation und Analyse einrichten. Während der Pandemie wurde die konfliktträchtige Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik deutlich. Forschende streben danach, Erkenntnisse zu gewinnen und darauf basierende Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Politikerinnen hingegen vertreten klare Positionen und wollen andere davon über­zeugen – dabei greifen sie wissenschaftliche Erkenntnisse oft selektiv auf. Diese Dyna­mik führt zu Spannungen zwischen Wissenschaft und Politik, zumal auch die Wissenschaft selbst nicht frei von Meinungsverschiedenheiten ist. Der Dialog zwischen Politik und Wissenschaft sollte auf jeden Fall intensiviert werden.

Kampf gegen Infektionskrankheiten

Matthias Egger (67) ist Professor für Epidemiologie an der Universität Bern. Er fokussiert auf HIV/Aids und andere Infektionskrank­heiten sowie sozioökonomische Unterschiede im Gesundheitsbereich. Während der Corona-Pandemie war er von Märzbis August 2020 der erste Leiter der wissenschaftlichen Covid-19-Taskforce.

Foto: Adrian Moser/SNF

Torsten Schwede, seit 2025 sind Sie Präsident des SNF-Forschungsrats. Was ist Ihr wichtigstes Ziel für die kommenden Jahre?

Ich möchte dazu beitragen, dass die Schweizer Forschung auch in Zukunft gute Rahmen­bedingungen hat und weltweit an der Spitze mitspielt. Für den SNF und die Wissenschaft ganz allgemein wird der Umgang mit der künstlichen Intelligenz eines der wichtigen Themen sein. Der Nobelpreis 2024 in Chemie wurde für die Entwicklung eines Software-Algo­rithmus zur Vorhersage von dreidimensionalen Proteinstrukturen an Forschende aus dem Unternehmen Deepmind verliehen, eine Tochterfirma von Google. Einerseits zeigt sich darin das grosse Potenzial von KI, grund­legen­de wissenschaftliche Fragestellungen erfolgreich anzugehen. Andererseits wird aber auch die Herausforderung für die akademische Forschung deutlich, bei dieser kritischen Technologie mit der Industrie Schritt zu halten.

Der Bund will die Ausgaben für Bildung und Forschung um über zehn Prozent kürzen. Können Sie das verstehen?

Die geplante Kürzung des jährlichen Budgets des SNF ab 2026 um über zehn Prozent wäre dramatisch für die Wissenschaft in der Schweiz. Projekte, die durch den SNF finanziert werden, haben eine Laufzeit über mehrere Jahre. Das Budget für das kommende Jahr ist heute also bereits zu etwa 80 Prozent zugesprochen. Eine zehnprozentige Einsparung des Gesamtbudgets müsste daher durch massive Kürzungen innerhalb der 20 Prozent der verbleibenden Mittel für Neuzusprachen erfolgen. Das wäre historisch einmalig – so etwas hat es in der Geschichte des SNF noch nie gegeben. Der Grossteil der Mittel des SNF wird für Gehälter ausgegeben, für die Anstellung von Doktorierenden und Postdocs etwa. Mit einer Kürzung spart man also genau am ­falschen Ort: bei den besten wissenschaft­lichen Projekten und bei den jungen Forschenden am Beginn ihrer Karriere. Der Wohlstand der Schweiz hängt massgeblich von gut ausgebildeten Fachkräften und innovativen Unternehmen ab.

«In den Hochschulen muss ein kritischer Dialog stattfinden – und dazu gehört, sich mit Meinungen auseinanderzusetzen, die man persönlich vielleicht für falsch hält.»Torsten Schwede

In der Wissenschaft gibt es aktuell zwei prominente Ansprüche: die Diversität der Forschenden und die Förderung der Besten. Welche Möglichkeiten gibt es, das Dilemma zu lösen?

Was am Schluss zählt, ist die Qualität der Forschung. Es ist auch im gesetzlichen Auftrag des SNF verankert, exzellente Forschungs­projekte zu fördern. Exzellenz ist jedoch multidimensional und kann sich auf ganz verschiedene Arten zeigen. Der SNF hat daher ein Modell entwickelt, das diese Vielfalt abbildet. Als lernende Organisation muss er kontinuierlich seine Evaluationskriterien und deren Auswirkungen auf die Diversität und die Qualität der geförderten Forschung überprüfen.

Öffentliche Ächtung, auch Cancel Culture genannt, kollidiert an den Uni­versitäten mit Wissenschafts- und Redefreiheit. In Deutschland wurde eine Doktorandin als menschenverachtend angefeindet, weil sie einen Vortrag über Geschlechter in der Biologie halten wollte. Was sagen Sie einem Studenten, der ein solches Referat verhindern will?

Ich kann nicht nachvollziehen, wenn sich Forschende gegenseitig nicht mehr ausreden lassen. Innerhalb der Hochschulen muss ein kritischer Dialog stattfinden – und dazu gehört, sich mit Meinungen auseinanderzusetzen, die man persönlich vielleicht für falsch hält. Das setzt aber einen Rahmen voraus, welcher der wissenschaftlichen Erkenntnisfindung dient. Die Situation ist anders gelagert bei Personen, die extreme politische Ansichten vertreten und sich wissenschaftlichen Argumenten verweigern. Ich würde solchen Leuten keine Plattform geben – wir lernen dabei nichts Neues und schaden dem Ansehen der Institutionen.

Digital die Proteine verstehen

Torsten Schwede (57) ist Professor für Strukturelle Bioinformatik an der Universität Basel und dem Swiss Institute of Bioinformatics. Mit seiner Forschungsgruppe entwickelt er Methoden zur Modellierung von dreidimensionalen Strukturen von Proteinen und ­deren Wechselwirkungen. Er war früher beim Pharmaunternehmen Glaxo-Smith-Kline tätig.