LITHIUM
Das mysteriöseste Element im All und auf der Erde
Wie Lithium auf die Erde kam, ist ein Rätsel, beim Abbau sorgt es für Verschmutzung, bei der Verwendung ist es nur schwer zu zähmen: Fakten über die widerborstige Schlüsselressource der Energiewende.

In diesem Becken in der argentinischen Provinz Catamarca verdunstet Sole für den Lithiumgewinn. | Foto: Anita Pouchard Serra
Die Geschichte des aktuell wohl begehrtesten Elements der Welt beginnt in den ersten fünf Minuten nach dem Urknall. Damals vor rund 13,8 Milliarden Jahren entstand das leichteste Metall des Universums: Lithium. Dabei weiss niemand so genau, wie die Schlüsselressource der Energiewende überhaupt auf die Erde kam. Nachgewiesen wurde Lithium erstmals vor rund 200 Jahren, in der Utö-Mine südlich von Stockholm. Auf der Erde selbst kann das Metall übrigens nicht entstanden sein, dafür braucht es so hohe Energien, wie sie nur im Weltall und im Inneren von Sternen vorkommen.
«Lithium ist eines der mysteriösesten Elemente des Universums», sagt Anna Frebel, Expertin für alte Sterne und die Frühphase des Weltalls am MIT. In seiner reinen Form ist das Element hochreaktiv, und bereits die ersten Sterne haben es mit ihren hohen Kerntemperaturen fast vollständig verbrannt. Trotzdem müsste sich heute laut Standardmodell für die Entstehung des Weltalls noch deutlich mehr Lithium im Universum befinden. Messungen weisen etwa Wasserstoff und Helium in der erwarteten Grössenordnung nach, Lithium aber zwei bis viermal weniger als vorhergesagt. Warum? «Das wissen wir nicht», sagt die Astrophysikerin. Man nennt es das kosmologische Lithium-Problem.
Nur ein kosmischer Unfall
Das Ganze beginnt schon mit dem Nachweis. Lithium lässt sich nicht wie Wasserstoff und Helium in den Gaswolken von Galaxien messen. Nur an der Oberfläche bestimmter Sterntypen können Astronomen es von der Erde aus beobachten. Aber auch dann sind die Signale in der Regel schwach. Mit wenigen Ausnahmen: Corinne Charbonnel von der Universität Genf hat zusammen mit Frebel jüngst im Stern J0524-0336 eine tausendfach höhere Lithiummenge als bei vergleichbaren Sternen nachgewiesen.
Ein Glücksfall, aber rätselhaft. Dem könnte ein einmaliger Prozess im Leben eines Sterns zugrunde liegen, schreibt Charbonnel in einem Paper. Gemäss dieser These wird eine kurze Zeit, etwa tausend Jahre lang, Lithium produziert. Es wäre wie ein Wimpernschlag im Leben eines Sterns, der Milliarden Jahre existiert. Danach verbraucht er das Metall vollständig.
«Nach dem Urknall gab es anders als bei anderen Elementen keine richtige Lithiumproduktion mehr», erklärt Frebel weiter. «Sein Entstehen erscheint eher wie eine Art kosmischer Unfall.» Bei vielen anderen Elementen auf der Erde könne man die Entstehung ziemlich genau bestimmen: Eisen stammt aus Supernova-Explosionen, Gold aus der Kollision von Neutronensternen, Barium von einer bestimmten Klasse alter Riesensterne.
«Lithium dagegen ist wie ein glitschiger Fisch», sagt Frebel. Eine Vermutung aber gibt es, ein Phänomen, das Forschende Spallation nennen: Hochenergetische Teilchen könnten auf ihrem Weg durchs Universum zufällig mit schwereren Elementen verschmelzen und zu Lithium zerfallen. So könnte das Metall immer wieder mal entstanden und mangels Reaktionspartner in den endlosen Weiten stabil geblieben sein.
Grosse Chance und grosser Zerstörer
Aber auch in diesem Fall bleibt die Frage: Wie ist es auf die Erde gekommen? Wieder Achselzucken bei Frebel. «Auch das wissen wir nicht», sagt sie. Als sich die Erde aus einer Wolke aus Gas und Staub bildete, muss darin jedenfalls auch das Lithium enthalten gewesen sein, das heute in Batterien genutzt wird. Es sank, als die Erde erstarrte, zunächst in tiefere Schichten ab, meist gebunden als Salz. Nur bestimmte geologische Bedingungen bringen es wieder näher an die Oberfläche. Daher kann es auch nur an wenigen Stellen abgebaut werden. Sechs Nationen – Argentinien, Bolivien, Chile, Australien, China und die USA – verfügen über rund 70 Prozent der bekannten Lithiumreserven. «So leicht kommt man an den wertvollen Rohstoff nicht ran», erklärt Marc Hufty vom Geneva Graduate Institute.
Es gebe zwei Abbauverfahren. Die Gewinnung aus hartem Gestein, wie sie vom Weltmarktführer Australien praktiziert wird, erfolgt im konventionellen Bergbau mit schwerem Gerät. Oft muss pro Kilogramm Lithium rund eine Tonne Granit zerkleinert und das Material mit teils aggressiven Chemikalien herausgewaschen werden. Bei der Lithiumgewinnung aus Salinen wie vor allem in Chile, Argentinien und China wird Sole aus der Salzkruste gepumpt und in riesigen Becken durch Verdunstung an der Sonne konzentriert. «Beide Verfahren sind sehr ressourcenintensiv», so Hufty. Sie benötigen viel Energie und grosse Mengen Wasser. «Bei den Prozessen fällt auch viel Abfall an, Staub, Säuren, chemische Nebenprodukte und kontaminiertes Wasser.» Der Entwicklungsforscher hat die Probleme des Lithiumabbaus in Südamerika untersucht. Oft löst er Widerstand aus, wie etwa im Altiplano, in der Hochebene der Anden. Die Anwohnenden wissen inzwischen, dass unberührte oder nur in Subsistenzwirtschaft genutzte Landschaften meist weitgehend zerstört werden.
Das führt dort auch zu tiefgreifenden sozialen Veränderungen. Die lokalen Gemeinden seien gespalten: Einige akzeptieren den Abbau als Quelle von Einkommen, Lizenzgebühren und Arbeitsplätzen, andere lehnen ihn ab, weil er die Umwelt zerstört und althergebrachte Lebensweisen ändert. «Diese Brüche sind oft generationenübergreifend, da die Jüngeren von den neuen Konsummöglichkeiten angezogen werden», weiss Hufty. Lithium habe in Lateinamerika ähnlich wie früher das Erdöl eine grosse symbolische Bedeutung. Es biete die Chance, endlich auf «den Zug des industriellen Wachstums aufzuspringen ». Eine Hoffnung, die sich jedoch oft nicht erfülle.
Gleichzeitig steigt weltweit der Bedarf. Lithium ist sehr leicht und will schnell Elektronen abgeben. Das ist für die Speicherung von Strom wie etwa in Akkus ein grosser Vorteil. Sogenannte Lithium-Ionen-Batterien sind derzeit die marktbeherrschende Speichertechnologie, sie kommen in Smartphones, Laptops und Elektroautos zum Einsatz. Dabei fliessen Lithium-Ionen zwischen Anode und Kathode. Ihr Vorteil: Der Stromfluss beruht nicht auf chemischen Reaktionen, die die Elektroden zersetzen.
Wettlauf um die beste Ionenbatterie
Der Grundstein für die Lithium-Ionen-Batterie wurde während der Ölkrise in den 1970er-Jahren gelegt. Basis dafür waren die Ideen dreier Forscher, die 2019 dafür den Nobelpreis in Chemie erhielten. Das Material ist jedoch nicht leicht zu bändigen. Vereinzelt auftretende Akkubrände sind ein Indiz dafür, wie wichtig es ist, die Reaktivität von Lithium zu zähmen. Mit Wasser oder Sauerstoff reagiert es derart schnell, dass es in der Natur fast nicht in seiner reinen, metallischen Form vorkommt. Wirft man einen Brocken Lithium ins Wasser, schwimmt dieser zischend hin und her und entzündet sich selbst.
Um moderne Hochleistungsbatterien stabil zu machen, müssen die Forschenden viele Tricks anwenden: die Batterien etwa in Schichten aufbauen und so das Lithium räumlich immer wieder isolieren. Die chemischen Reaktionen in einer Batterie müssen auch deswegen derart kontrolliert ablaufen, damit sich die freiwerdende Energie bei der Entladung eben auch gezielt abgreifen lässt. Ali Coskun von der Universität Freiburg forscht an neuartigen Batterien. Vielversprechende Kandidaten basieren auf der Kombination von Lithium und Schwefel als Elektrodenmaterialien. «Der eine grosse Vorteil ist die leichtere Verfügbarkeit von Schwefel», sagt der Chemiker. Schwefelsäure oder elementarer Schwefel lassen sich industriell sehr gut gewinnen. Der zweite Vorteil: Batterien mit Lithium-Schwefel-Zellen sind bis zu 40 Prozent leichter als Lithium-Ionen-Batterien und sogar bis zu 60 Prozent leichter als ebenfalls gebräuchliche Lithium-Eisenphosphat-Batterien.
Doch noch sind die Reaktionen teilweise sehr langsam. Coskun und sein Mitarbeiter Patrick Fritz investieren deswegen in die Grundlagenforschung. Aktuell liegen ihre Hoffnungen auf einem neuartigen Elektrolyt, dem Material zwischen Anode und Kathode im Akku. Eine wissenschaftliche Publikation dazu ist in Vorbereitung, ein industrieller Partner in Südkorea wird die neuen Batterien demnächst testen. «Bis zur Marktreife wird es aber noch fünf bis zehn Jahre dauern», sagt Coskun.
Das Ganze sei auch ein Wettlauf. «Chinesische Firmen dominieren jetzt schon die Batterieproduktion weltweit, und auch in der Grundlagenforschung stammen inzwischen neun von zehn Veröffentlichungen aus China», sagt Coskun. Die einzige Chance für Europa sei es, noch innovativer zu werden. Umso wichtiger sei die Unterstützung der Grundlagenforschung etwa durch staatliche Förderer oder die EU. Trotz aller Rätsel um seine Herkunft und Herausforderungen bei seiner Ernte und Bändigung: Lithium wird auch in nächster Zeit das zentrale Element der Energiewende bleiben.