Blick zürück in die Vergangenheit des Universums, als es noch klein und dicht war. | Illustration: Michael Raaflaub

Um herauszufinden, ob es das Nichts gibt, muss man das unendlich Grosse und das unendlich Kleine betrachten. So ganz nebenbei begegnet man dabei den grössten Problemen der Physik und entdeckt verschiedene mögliche Schicksale des Universums. Die Definition von Vakuum ist die Abwesenheit von ­allem anderen. Wir können es jedoch nur ­verstehen, wenn wir alles verstehen.

«Das Vakuum kann als eine Abstufung von Abwesenheiten gesehen werden, von der jede physikalische Theorie ihre eigene Vorstellung hat», sinniert Baptiste Le Bihan, Professor für Philosophie an der Universität Genf. Für Norma Sanchez, emeritierte Physikerin an der Université Paris Sciences et Lettres, ist «das Konzept des Vakuums nicht absolut, sondern es ent­wickelt sich ständig weiter».

«Das Vakuum kann als eine Abstufung von Abwesenheiten gesehen werden, von der jede physikalische Theorie ihre eigene Vorstellung hat.»Baptiste Le Bihan

Für Normalsterbliche ist ein Vakuum schlicht luftleerer Raum. Es ist nie vollkommen, enthält immer eine gewisse Anzahl von Luftmolekülen, findet aber viele Anwendungen, von der Konservierung von Lebensmitteln bis zur Herstellung von elektronischen Schaltkreisen (siehe Kasten weiter unten). Eine oft unterschätzte Eigenschaft des Vakuums ist seine Kraft: 1656 demonstrierte der deutsche Wissenschaftler Otto von Guericke, dass sich zwei Hälften einer Metallkugel mit einem Durchmesser von über 40 Zentimetern, aus der die Luft herausgepumpt wurde, auch durch zwei Gespanne von je acht Pferden nicht trennen liessen. Verantwortlich für diese Widerstandskraft ist der Luftdruck, der nur ausserhalb der Kugel und nicht in ihrem Inneren herrscht. Das Vakuum erhält hier seine Kraft aus dem es umgebenden Nicht-Vakuum.

Was Vakuum alles kann

Luft mit sehr niedrigem Druck wird vielfältig angewendet. Die mechanische Kraft des Vakuums wird etwa in Staubsaugern genutzt. Das Absaugen von Luft verhindert die Verunreinigung durch Mikroorganismen in abgepackten Lebensmittelnoder durch Staub beim Ätzen von Mikrochips. Vakuum verhindert auch Luftwiderstand. Davon profitieren Raumsonden und Projekte für ultraschnelle Magnetschwebebahnen in Vakuumtunneln wie Swissmetro. Vakuum bietet zudem die bestmögliche Wärmedämmung. Diese Eigenschaft wird etwa bei Fenstern oder Thermosflaschen eingesetzt. Die veränderten Eigenschaften von Flüssigkeiten unter niedrigem Druck werden auch bei der Destillation oder beim Gefrieren genutzt. Im Vakuum werden auch Weltraumtechnologien auf der Erde getestet.

Das stärkste Vakuum auf der Erde befindet sich in den Tunneln des Cern bei Genf. Der Druck ist dort tausend Milliarden – eine Eins mit zwölf Nullen oder 1012 – Mal niedriger als in der Umgebungsluft. Das ist aber nichts im Vergleich zum Weltraum: Dort findet sich im Durchschnitt nur ein einziges Wasserstoffatom pro Kubikmeter. Die ausgeprägteste Leere des Kosmos ist noch zehnmal extremer und befindet sich zwischen den fadenförmigen Strukturen, den Filamenten des Universums, auf denen sich die Galaxien konzen­trieren (siehe Kasten "Wie wenig übrig bleibt: Teilchen pro Kubikmeter" weiter unten).

Ein «echtes Vakuum» ohne jegliche Materie herrscht nur zwischen den im Weltraum isolierten Atomen. Neben sichtbarer Materie, die sich direkt mit Teleskopen beobachten lässt – Sterne, Galaxien, interstellares Gas –, gibt es aber auch dunkle Materie, die zwar selbst nicht sichtbar ist, ihre Gravitationseffekte dagegen schon. Diese unsichtbare Masse wirkt wie eine Linse, die den Weg des Lichts krümmt. Wenn man diese Verkrümmung misst, kann man abschätzen, wie viel davon vorhanden ist: etwa fünfmal mehr als sichtbare Materie.

Nun könnte die Dichte der gesamten Materie abnehmen, wenn wir uns den Grenzen des Universums annähern. Dass dort ein ausgedehntes Vakuum anzutreffen wäre, findet Ruth Durrer jedoch unwahrscheinlich. Die emeritierte Professorin für Kosmologie an der Universität Genf führt aus: «Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ist das Universum endlich, wie die Oberfläche einer Seifenblase. In diesem Fall gibt es keinen Grund, warum die Dichte abnehmen sollte. Oder es ist unendlich, wie ein Tuch ohne Rand. In diesem Fall legen die astronomischen Beobachtungen nahe, dass die Materie in unendlicher Menge vorhanden ist und sich gleichmässig über den Kosmos verteilt.»

Wenn die Welt im Kältetod endet

Neben der sichtbaren und der dunklen Ma­terie geht die Kosmologie von einer dritten Komponente des Universums aus: der geheimnisvollen dunklen Energie. Ihre genauen Eigenschaften sind unbekannt, das Konzept ist aber notwendig, um die Beobachtung zu erklären, dass sich unser Universum immer schneller ausdehnt – dass die Entfernungen zwischen den Galaxien mit der Zeit also immer schneller zunehmen. Eine mögliche Form der dunklen Energie wäre die kosmologische Konstante, eine abstossende und gleichmässig über den gesamten Kosmos verteilte Energiedichte. Sie erscheint in den Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie von Einstein für ein Universum ohne jegliche sichtbare oder dunkle Materie. Sie entspräche folglich der Energiedichte im Vakuum. Diese führt zu einer Expansion des Universums, wie bei einem Ballon, der aufgeblasen wird.

Und diese Energie des Vakuums könnte unsere ferne Zukunft bestimmen. Wenn die gesamte Energiedichte des Universums – die Materie ganz nach Einstein inbegriffen – unter einem bestimmten Schwellenwert liegt, ist der Kosmos wie ein unendliches Tuch und wird sich für immer weiter ausdehnen. Das ist das Szenario das Kältetods: ewige, vollkommene Dunkelheit, bevölkert von vereinzelten Atomen und sich immer weiter voneinander entfernenden toten Sternen.

Seit dem Urknall dehnt sich das Universum immer mehr aus – und das immer schneller. | Illustration: Michael Raaflaub

Eine andere Möglichkeit wäre, dass sich die Expansion des Universums aufgrund seiner eigenen Gravitation verlangsamt und umkehrt, ähnlich wie eine Gewehrkugel, die in die Luft geschossen wird und zurückfällt, wenn die Erdanziehung die Oberhand gewinnt. Da der Kosmos in diesem Fall immer kleiner würde, rückten die Sterne näher zusammen, würden von schwarzen Löchern verschluckt, und das Universum würde in einem grossen Zusammenkrachen, der umgekehrten Form des Urknalls, enden. Bei diesem Seifenblasen-Szenario müsste die gesamte Energiedichte des Universums grösser sein als der kritische Schwellenwert. Wobei die dunkle Energie alleine einige hundert Mal schwächer sein müsste, als die bisherigen Beobachtungen vermuten lassen, erklärt Durrer. Daher ist es wichtig zu verstehen, woraus das Vakuum seine Energie schöpft.

Diese Suche führt direkt vom unendlich Grossen ins unendlich Kleine, ins Herz der Quantenphysik, welche die Welt der Atome und Elementarteilchen beschreibt. Dazu gehören Materieteilchen wie Elektronen und Protonen ebenso wie Kraftteilchen wie das Photon, das für den Elektromagnetismus verantwortlich ist. In dieser Theorie ist jedes Teilchen das Ergebnis einer Anregung des niedrigsten Energieniveaus, bei dem jegliche Teilchen abwesend sind. Doch auch die Energie dieses Vakuums ist nicht null, denn in der Quantenphysik «ist nichts vollkommen statisch», wie Physikerin Durrer in Erinnerung ruft. Nicht einmal das Vakuum. Gemäss der berühmten Heisenbergschen Unschärferelation kann ein Teilchen nicht vollkommen unbeweglich an einem bestimmten Ort sein. Das Vakuum erhält also Energie aus den unaufhörlichen Fluktuationen von Teilchen. Mehr noch: Diese Fluktuationen erzeugen ständig virtuelle Teilchenpaare, wie ein Elektron und ein Antielektron, deren Lebensdauer aber zu kurz ist, um beobachtet zu werden.

«Nach einer Quantentheorie der Gravitation wird seit über einem Jahrhundert erfolglos gesucht.»Ruth Durrer

Dieses Quantenvakuum füllt also selbst die winzigen Räume zwischen den Atomen, zwischen den Elektronen und ihren Kernen oder sogar zwischen den Quarks, aus denen die Protonen bestehen, mit virtuellen Teilchen. Dass das Vakuum Energie enthält, wurde ­vielfach experimentell nachgewiesen, im Zusammenhang mit den zwischenmolekularen Kräften oder auch mit dem sogenannten Casimir-Effekt, bei dem auf zwei Metallplatten im Vakuum eine Kraft wirkt, die beide zusammendrückt. Diese Quantenenergie des Vakuums ist eine weitere Kandidatin für die kosmologische Konstante, das heisst für die Energie des Vakuums, wie sie im Kontext von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie beschrieben wird. Wäre da nicht ein kleines Problem: Theoretische Berechnungen ergeben einen viel zu hohen Wert. In Nachschlagewerken ist gar von der «schlechtesten theoretischen Vorhersage in der Geschichte der Physik» die Rede: Die Prognose ist 10120 Mal grösser als die Schätzungen, die auf astronomischen Beobachtungen basieren – eine unvorstellbar grosse Abweichung.

«Dieser Fehler ist keineswegs so überraschend», schwächt Durrer ab. «Denn für die Berechnung wäre eine Quantentheorie der Gravitation erforderlich, ein Ansatz, der Einsteins Relativitätstheorie und die Quantenphysik in Einklang bringt. Danach wird seit über einem Jahrhundert erfolglos gesucht.»

Universum durch Nichts verschluckt

Die Stringtheorie ist ein Versuch, die Quantenphysik und die Relativitätstheorie zu vereinen. Durch die Berücksichtigung von Räumen mit zehn oder mehr Dimensionen führt sie noch weiter. In einigen Szenarien «würden beim Zerfall des Vakuums Dimensionen in sich zusammenfallen und verschwinden», erklärt Irene Valenzuela, Physikerin am Cern. «Aus diesen verschwundenen Dimensionen würden Blasen aus Nichts entstehen, die sich ausdehnen und schliesslich den Platz des Universums einnehmen.» Auch wenn die Stringtheorie Platz bietet für das Nichts, dieses wahrhaft leere Vakuum, bleibt sie abstrakt und wurde bisher durch keine Beobachtungen gestützt.

Die Teilchenphysik hält noch eine Überraschung bereit. Die Leere im Universum ist wahrscheinlich instabil – und damit alles, was darin enthalten ist. Denn die Energie des Higgs-Bosons, die allen Teilchen ihre Masse verleiht, könnte über einen grundlegenderen Zustand verfügen. Ist dies der Fall, würde das Boson eines Tages in diesen Zustand über­gehen, was seine Eigenschaften und damit die aller Teilchen verändern würde. «Sehr wahrscheinlich wären die Atome dann nicht mehr stabil», so Durrer. Unsere Physik und Chemie würden unmöglich, die gesamte Materie – Lebewesen, Planeten und Sterne – würde zu Elementarteilchen und Licht zerfallen.

Wie wenig übrig bleibt: Teilchen pro Kubikmeter

10 000 000 000 000 000 000 000 000
1025
Umgebungsluft
100 000 000 000 000 000 000 000
1023
Vakuumverpackung
1 000 000 000 000 000 000
1018
Industriehochvakuum
1 000 000 000 000
1012
Stärkstes Vakuum im Labor
10 000 000
107
Interplanetares Vakuum
10
101
Kritische Dichte des Universums (die seine ferne Zukunft bestimmt)
10
101
Mittlere Dichte des Universums(mit dunkler Materie und dunkler Energie)
1
100
Mittlere Dichte des Universums (nur sichtbare Materie)
0,1
10-1
Intergalaktisches Vakuum

Dieser Zerfall des Vakuums wäre «die ultimative ökologische Katastrophe», schrieb der Physiker Sidney Coleman 1980. Kleiner Trost: Aufgrund der Berechnungen ist davon auszugehen, dass dieses Ereignis erst in 1065 Jahren eintreten wird. Das ist viel länger als das heutige Alter des Universums (1010 Jahre) und lange nachdem die letzten Sterne erloschen sein werden.

Das Vakuum ist also wesentlich und keineswegs einfach leer. Während die Ansätze zur Erforschung des Vakuums eine Fülle potenzieller Apokalypsen bieten, ist der Ursprung des Universums eine andere Geschichte. Da selbst die Zeit des Universums zusammen mit dem Raum im Moment des Urknalls entstanden ist, kann es vorher nichts gegeben haben. Es gibt kein Davor.

«Wenn es ein solches Nichts ‹neben› unserem Universum gäbe, müssten wir in der Lage sein, es zu lokalisieren. Dies widerspricht aber seiner Definition.»Baptiste Le Bihan

Vor demselben Paradoxon steht man, wenn man das Nichts auf den Raum ausserhalb des Universums ausdehnen will. Denn im Prinzip umfasst das Universum alles, was existiert. Es kann sich also nichts darum herum befinden. Und selbst das Konzept des Nichts im Sinne einer absoluten Leere «ist schwierig zu begreifen», meint Philosoph le Bihan. «Das Nichts steht für die Leere im philosophisch-ontologischen Sinn. Wenn es ein solches Nichts ‹neben› unserem Universum gäbe, müssten wir in der Lage sein, es zu lokalisieren. Dies widerspricht aber seiner Definition, die nicht nur die Abwesenheit jeglicher Materie und Energie, sondern auch jeglicher räumlicher oder zeitlicher Beziehungen bedeutet. In diesem Sinne würde ich sagen, dass das Nichts nicht existiert. Zumindest nicht in unserem Universum.»