Annette Tettenborn ist Leiterin des Instituts für Professions- und Unterrichtsforschung an der Pädagogischen Hochschule Luzern. | Foto: Matthias Jurt / PH Luzern

Annette Tettenborn, Sie beschäftigen sich mit Pensionierung in der Akademie. Warum braucht es dazu ein Buch?

Weil der Übergang Teil der akademischen Berufsbiografie ist. Es gibt nur wenige Forschungsgruppen, die sich aus soziologischer Perspektive mit dieser Statuspassage beschäftigen. Dabei ist es ein zukunftsträchtiges Thema, denn die Hochschulen verändern sich und sind heute auch unternehmerisch orientiert. Wissenschaft als Lebensform und Berufung, wie sie es für manche noch ist, wirkt da fast überholt. Die Auswirkungen dieser Spannung interessieren uns.

Weshalb klappte es mit den ursprünglich geplanten persönlichen Beiträgen nicht?

Einige wenige wollten mitmachen, aber die Mehrheit schrieb uns: Das ist zwar ein ganz tolles Projekt, aber ich habe keine Zeit, ich sitze an Publikationen, ich habe noch Doktorierende zu betreuen. Manchmal wurden auch Enkel ins Feld geführt.

«Plötzlich wird man für ganz viele Gutachten oder für Einsitze in Hochschulräten angefragt. Denn Pensionierte haben Zeit.»

Das sind vermutlich Emeriti. Wie gross ist ihr Anteil unter den Pensionierten?

Das kann ich nicht sagen. Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik zeigen aber, dass der Anteil der über 65-Jährigen an den Hochschulen seit einigen Jahren zunimmt. Der Status der Emeriti ist je nach Hochschule unterschiedlich. An der Universität Zürich etwa wird man mit 65 emeritiert und hat dann bis 70 noch seine institutionelle Mailadresse und Zugänge zu Statistikprogrammen oder Literatur. Doch wie geht es weiter, wenn das wegfällt? Wie steht es dann um das wissenschaftliche Selbst? Aber es fängt schon vorher an.

Wie meinen Sie das?

Sie werden etwa bei Berufungskommissionen nicht mehr angefragt, bei Entscheidungen, wie es mit der Hochschule strategisch weitergeht. Das entscheiden – im guten Sinne – die Jüngeren. Die letzten Berufsjahre im akademischen Feld können für manche auch kränkend sein. Oder zumindest unangenehm. Aber es gibt auch das Umgekehrte: Plötzlich wird man für ganz viele Gutachten oder für Einsitze in Hochschulräten angefragt. Denn Pensionierte haben Zeit.

«Was eher tabuisiert ist, sind ältere Forschende, die weiter Dinge tun, zu denen sie eigentlich nicht mehr imstande sind.»

Ist dieser Statusverlust tabuisiert?

Das ist zu stark ausgedrückt, und der Übergang kann auch ein Gewinn von Neuem sein. Viele Menschen beschäftigen sich jedoch nicht so gerne mit Abbau und Abschied. Was eher tabuisiert ist, sind ältere Forschende, die nicht loslassen können, die weiter Dinge tun, zu denen sie eigentlich nicht mehr imstande sind.

Was für Gestaltungsspielräume für Pensionierte fänden Sie sinnvoll?

Sie haben langjährige Fachexpertise und einen erfahrenen Blick darauf, was sich an den Hochschulen verdichtet, beschleunigt, zuspitzt. Die Hochschulen täten gut daran, diese Kenntnisse weiter zu nutzen.