Fokus: Von Film, Fakt und Fiktion
Im Versuchslabor des Raum-Zeit-Kontinuums
Zeitreisen sind ein Menschheitstraum. Aus Drehbüchern für Science-Fiction ist das Sujet kaum wegzudenken. Doch können die Plots aus physikalischer Sicht funktionieren?
Science-Fiction verspricht uns Menschen eine Welt, in der im Prinzip alles möglich ist: sowohl einen Blick in die Zukunft zu werfen als auch die Vergangenheit unseren Wünschen anzupassen. «Wir sind fasziniert von Zeitreisen, weil wir uns damit von den Grenzen in Raum und Zeit befreien können», sagt Marc Atallah, Literaturdozent an der Universität Lausanne und Direktor des Science-Fiction-Museums La Maison d’Ailleurs in Yverdon-les-Bains.
Eigentlich reicht dafür ein Blick in den Sternenhimmel: Wir schauen dabei Millionen Jahre in die Vergangenheit, so weit zurück, wie das Licht braucht, um von den Galaxien zur Erde zu gelangen. Dank den in der Relativitätstheorie beschriebenen Effekten geht es aber auch aktiver. Bei hohen Geschwindigkeiten oder starker Gravitation vergeht die Zeit relativ zum Rest langsamer. Im Alltag der Raumfahrt entstehen in einem Jahr jedoch nur Abweichungen im Bereich von Millionstelsekunden.
Harry Potter und Hermine sind die Cracks
Im Blockbuster Interstellar, in dem ein Team von Forschenden einen Ausweg für die ums Überleben kämpfende Menschheit zu finden versucht, werden allerdings Stunden zu Jahren, als sich das Raumschiff einem schwarzen Loch nähert. Noch länger dehnt sich die Zeit im Film Planet der Affen, bei dem Astronauten auf einem unbekannten Planeten landen, der sich schliesslich als ihr Heimatplanet Erde in der Zukunft entpuppt, nachdem er von einem Atomkrieg verwüstet wurde.
Die Dehnung der Zeit ist eine von vier Kategorien, in die Physik-Youtuber Henry Reich Zeitreisen einteilt. Auf seinem Kanal Minute Physics beschreibt er auch das Motiv der Wiederholung, wie sie in der Komödie Und täglich grüsst das Murmeltier zelebriert wird: Der zynische Wetteransager muss den gleichen Tag so oft wiederholen, bis er derart geläutert ist, dass sich sogar seine Arbeitskollegin in ihn verliebt.
Für sich alleine stehend betrachtet Reich seine Lieblingszeitreise in Harry Potter und der Gefangene von Askaban. Dort können Harry und Hermine an einen Zeitpunkt vor drei Stunden zurückkehren, wo sie als Doppelgänger die Geschehnisse genau so ablaufen lassen müssen wie beim ersten Durchlauf. Die Vergangenheit kann also nicht verändert werden, wodurch auch keine Paradoxien entstehen. «Logische Konsistenz ist die Grundlage für gute Zeitreisegeschichten – nicht, weil sie an sich wichtig ist, sondern weil wir glauben müssen, dass Handlungen auch Konsequenzen haben, damit wir uns für die Figuren in der Geschichte interessieren», erklärt Reich dem Publikum.
Die populärste Form der Zeitreise ist der letzte Typ: Alles ist möglich. Hier kommen typischerweise Zeitmaschinen zum Einsatz wie das Auto mit dem Fluxkompensator im Film Zurück in die Zukunft. Mit dem Gerät reist der Teenager Marty McFly aus Versehen aus dem Jahr 1985 ins Jahr 1955, wo er das Date seiner Eltern vermasselt. So muss er neben seiner Rückkehr auch noch seine Zeugung sicherstellen und schafft es nebenbei, dass seine Eltern cooler werden als vorher. Zumindest theoretisch könnte diese Art von Zeitreise möglich sein.
Wer mit den Gleichungen der Relativitätstheorie spielt, kann in der Raumzeit – die Kombination aus den drei Raumdimensionen und der Zeit – Querverbindungen, sogenannte Zeitschleifen, generieren. Diese würden erlauben, sich vorwärts in die Vergangenheit zu bewegen.
Eine andere, viel diskutierte Möglichkeit sind Wurmlöcher. Sie könnten unterschiedliche Orte und unterschiedliche Zeiten im Universum wie eine Art Tunnel miteinander verbinden. In der BBC-Kultserie Doctor Who befindet sich ein Ende eines Wurmlochs im walisischen Cardiff. Physikalisch sind Wurmlöcher zwar vorstellbar, wurden aber noch nie beobachtet.
Der im Star-Trek-Universum angewandte Warp-Drive ermöglicht Überlichtgeschwindigkeiten und damit im Prinzip auch eine Umkehr der Zeit. Für die nötige, rein theoretisch mögliche Verformung der Raumzeit müsste irgendwo erst noch exotische Materie mit negativer Masse entdeckt werden.
Keine Flucht vor eigenem Schicksal möglich
«Es gibt keine Gründe, daran zu glauben, dass Zeitreisen einmal möglich sein werden», sagt Stefan Wolf, Leiter der Forschungsgruppe für Kryptografie und Quanteninformation an der Università della Svizzera italiana in Lugano und Mitautor eines Artikels zum Thema Zeitreisen. «Es gibt aber auch keine Gründe, Zeitreisen auszuschliessen.» An einer echten Zeitreise etwa von Elementarteilchen werde allerdings nirgends geforscht. «Die theoretische Untersuchung der Möglichkeit von Zeitreisen eröffnet aber ein Feld, in dem mathematische Phänomene studiert und eventuell auch Gründe gefunden werden können, die gegen mögliche Zeitreisen sprechen», so Wolf.
Gerade weil wir intuitiv die physikalischen Grenzen kennen, interessieren wir uns für solche Geschichten, sagt der Lausanner Science- Fiction-Forscher Atallah. «Zeitreisen erlauben uns, interessante Geschichten zu erzählen.» So könnte die Vergangenheit neu gedacht werden, wie im Film Das Jesus Video, wo sich die katholische Kirche vor der Enthüllung der Wahrheit fürchtet. Mit dem Abstand einer hypothetischen, fernen Zukunft lasse sich auch die Gegenwart gut kritisieren, wie im Film Die Zeitmaschine, in dem der Held aus dem viktorianischen Zeitalter in eine Zukunft mit zwei Menschenarten reist – eine im Untergrund lebende, kannibalistische und eine dumme und bequeme an der Oberfläche. Interessant sei auch einfach das Spiel mit den Paradoxien, wie bei 12 Monkeys, an dessen Schluss die Hauptperson als Kind die eigene Tötung als Erwachsener miterlebt. Die Moral: Dem Schicksal kann man nicht einmal mit einer Zeitreise entfliehen.