Erdgeschichte
Achterbahnfahrt der Zufälle
Menschliches Leben verdankt seine Existenz den einzigartigen Eigenschaften des blauen Planeten. Doch es hätte auch alles ganz anders kommen können. Fünf Wendepunkte.
Kollision bringt Stabilität
Aller Anfang ist holprig: Aus Staub und Gas entstanden, wächst die Erde durch Kollisionen mit kleinen und grösseren Asteroiden. Als sie fast ihre jetzige Grösse erreicht hat, prallt sie besonders heftig mit dem Himmelskörper Theia zusammen. Dabei werden Bruchstücke ins All geschleudert, sammeln sich in der Umlaufbahn der Erde, wo der Mond entsteht. Maria Schönbächler, Geochemikerin der ETH Zürich, erforscht, was bei der Kollision mit Theia passiert ist – ob sich der Mond hauptsächlich aus Erdmaterial oder aus Überresten von Theia zusammensetzt. Dazu sucht sie in Proben von Erd- und Mondgestein nach Hinweisen auf die Herkunft des jeweiligen Baumaterials. «Sollte der Mond zum grössten Teil aus Erdmaterial bestehen, dann wäre er ein Fenster in die geologische Vergangenheit der Erde», so Schönbächler.
Auf dem Mond hat sich in den letzten Milliarden Jahren nur wenig verändert. Umso mehr hat er zur Entwicklung von Erde und Menschheit beigetragen, wie wir sie heute kennen: «Die gegenseitige Anziehung stabilisiert die Bewegungen von Erde und Mond», sagt Schönbächler. «Ohne Mond würde die Erde im wahrsten Sinne des Wortes wackeln, ihre Achse würde sich immer wieder anders neigen, die klimatischen Bedingungen zwischen verschiedenen Extremen wechseln.» Menschen könnten auf dieser Erde wohl nicht leben.
Wertvolle Metalle in der Kruste
«Gäbe es keine kontinentale Kruste mit ihren Metalllagerstätten, wäre der Mensch nie auf die Idee gekommen, Metalle abzubauen: kein Kupferkessel, keine Eisenbahn, kein Smartphone – wir wären in der Steinzeit stecken geblieben», sagt Geochemiker Klaus Mezger von der Universität Bern. Es ist ein Beispiel dafür, wie zentral die kontinentale granitische Kruste für das heutige Leben ist. Man kennt sie bisher nur von der Erde. Sie liefert nicht zuletzt auch den für jede DNA und RNA benötigten Phosphor. Doch wie aus der ursprünglich rein basaltischen Kruste, die noch heute den Ozeanboden bildet, die kontinentale Kruste entstand, ist bis jetzt nicht ganz klar.
Jüngst konnte Mezger allerdings einen wichtigen Beitrag zur Antwort auf diese Frage leisten. Er untersuchte Gesteinsproben von zwei speziellen Regionen in Indien: Die eine wird auf den Beginn der Krustenbildung datiert, die andere auf die Zeit, als diese ihr Maximum erreichte. Beide Fundstätten blieben in den vergangenen Jahrmilliarden weitgehend unberührt. «Der Vergleich dieser Perioden gibt uns Hinweise darauf, wann sich welche Elemente in der kontinentalen Kruste anreicherten und dabei der basaltischen Kruste entzogen wurden», sagt Mezger. Das basaltische Gestein wurde in der Tiefe teilweise aufgeschmolzen. Erkenntnis daraus: Die kontinentale Kruste ist eine Folge der Plattentektonik – und nicht umgekehrt.
Perfekt für Regen
Leben benötigt Wasser in flüssiger Form, was bisher nur von der Erde bekannt ist. Doch wenig müsste anders sein, und auch auf ihr gäbe es keine Flüsse, Seen und Ozeane. Das zeigt ein Blick auf den Schwesterplaneten, die Venus. Obwohl sie in vielem der Erde sehr ähnlich ist und sogar Wasserdampf birgt, gab es dort wohl nie Ozeane, so eine Studie von Forschenden der Universität Genf. Astrophysikerin Emeline Bolmont und Kollegen haben das Klima der Venus kurz nach ihrer Entstehung modelliert und dabei herausgefunden: Wasserdampf konnte auf der Venus zu keinem Zeitpunkt kondensieren und vom Himmel regnen.
Der Treibhauseffekt ist auf der Venus sehr stark und hat schon für mehrere hundert Grad heisse Temperaturen gesorgt, als die Sonne noch ihre schwächste Strahlungsleistung besass. «Vorläufig hat die Erde mehr Glück gehabt», sagt Bolmont. «Doch die Sonne vergrössert kontinuierlich ihre Intensität und damit den Radius, innerhalb dessen unweigerlich alles Wasser verdampft.» In ein bis zwei Milliarden Jahren wird es so weit sein, und die Erde wird das Schicksal der Venus ereilen.
Sauerstoff macht alles neu
Die ersten Zellen auf der Erde benötigten keinen Sauerstoff – sie produzierten ihn. Als Abbauprodukt der Fotosynthese von Mikroorganismen reicherte er sich allmählich in Wasser und Luft an. «Nachdem die Erde zwei Milliarden Jahre lang weitgehend sauerstofffrei gewesen ist, änderte dieses eine Phänomen alles», sagt Geochemiker Derek Vance von der ETH Zürich. «Bis dahin war die Biologie eine Folge der Geologie, doch von nun an beeinflusste sie diese entscheidend.» Als ab einem bestimmten Punkt genügend freier Sauerstoff vorhanden war, beeinflusste sich die Biologie selbst: Lebensformen, die atmen konnten, begannen zu dominieren.
Allerdings brauchten die Ozeane länger als die Atmosphäre, um sauerstoffreich zu werden, und sauerstoffreiche und sauerstoffarme Bedingungen wechselten sich ab, bevor sich die Situation stabilisierte. Vance erforscht diese Phasen. Seine Gruppe hat neue Methoden entwickelt, die anhand von Meeressedimenten auf die Ozeanchemie vergangener Zeiten schliessen lassen.
Vereisung gebiert Komplexität
Die längste Zeit existierten ausschliesslich Einzeller. Erst nachdem unser Planet mindestens zwei globale Eiszeiten durchlaufen hatte, entwickelte sich komplexes, multizelluläres Leben. Forschende vermuten den Grund dafür in den vielen Nährstoffen, die durch das Schmelzwasser von der kontinentalen Kruste in die Ozeane geschwemmt wurden. Doch was die vorhergehende völlige Vergletscherung auslöste, ist bisher unklar. Eine Möglichkeit hat kürzlich Christian Köberl von der Universität Wien ins Spiel gebracht, der Einschläge von Himmelskörpern erforscht.
Ursprünglich habe er wissen wollen, ob ein Asteroideneinschlag vom Ausmass desjenigen, der viel später vermutlich das Ende der Dinosaurier bedeutete, das Eis hätte schmelzen können. «Im Computermodell hat sich jedoch gezeigt, dass die Energie dafür eher nicht gereicht hätte», sagt Köberl. «Da haben wir uns gefragt: Und wie ist es umgekehrt, könnte ein Einschlag der Grund für den Beginn der Schneeballerde gewesen sein?» Tatsächlich habe sich gezeigt, dass der bei einem Aufprall entstehende Staub die Erde ausreichend stark vor der Sonneneinstrahlung abschirmen könnte, falls diese dann ohnehin gerade eine kühle Phase durchläuft. Ob es wirklich so gewesen ist, weiss niemand. «Immerhin herrscht Einigkeit darüber, dass die Erde durchschnittlich etwa alle hundert Millionen Jahre mit einem Asteroiden dieser Grössenordnung zusammenprallt», sagt Köberl. Und dabei, das ist sicher, nimmt ihre Entwicklung jedes Mal eine neue Wendung.
Illustrationen: Jeremy Perrodeau