Zeremonie über alles

Ig-Nobel, Cambridge (USA)

«Welcome! Welcome!» So lautet der gesamte Text der Rede an der Ig-Nobel-Preis-Verleihung 2019. Zum Zeitpunkt der Begrüssung durch eine altehrwürdige Professorin ist der erste von zwei Papierfliegerwürfen aus dem Publikum bereits vorüber. Ein etwas jüngerer Professor mit vietnamesischem Strohhut hat als einzige Aufgabe, die Papierflieger von der Bühne zu fegen.

Am beschriebenen Abend fand die letzte physische Ig-Nobel-Preis-Verleihung vor Corona statt. Dieses Jahr wird es aber wieder so weit sein. Ausgezeichnet werden Arbeiten, die «zuerst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen». Der Physikpreis etwa geht 2019 an Forschende, die herausgefunden haben, «wie und warum Wombats würfelförmigen Kot produzieren». Der Preis: eine gebastelte Skulptur, eine knittrige Urkunde, zehn Trillionen simbabwische Dollar und Händeschütteln mit Trägern des echten Nobelpreises, die lächelnd auf der Bühne sitzen.

«Das Geld interessiert bei wichtigen Auszeichnungen niemanden.»Jana Gallus

Auch die Übergabe wird bei Ig-Nobel parodiert. «Das Ritual der Verleihungszeremonie ist bei Auszeichnungen extrem wichtig», erklärt Jana Gallus, Ökonomieprofessorin an der University of California Los Angeles, die ein Buch zum Thema Ehrungen mitverfasst hat. «Das Geld dagegen interessiert bei wichtigen Auszeichnungen niemanden.» Relevant seien die Anwesenden und der Ruf der Geber.

Um den Ruf nach dem Tod besorgt

Nobel, Stockholm (S) und Oslo (N)

«Die Superreichen wollen, dass ihr Name nach dem Tod mit etwas Positivem und dauerhaft Sichtbarem verbunden ist – ihr Vermächtnis», sagt Jana Gallus, die an der Universität Zürich untersucht hat, wie Ehre und Geld zu Leistungen anspornen. Stark um sein Andenken besorgt war Alfred Nobel, nachdem er 1888 wegen einer Verwechs­lung mit seinem Bruder Ludvig die seltene Gelegenheit hatte, einen wenig schmeichelhaften Nachruf auf sich selbst und seine rüstungsindustrielle Tätigkeit zu lesen. Sieben Jahre später stiftete Nobel die berühmten fünf Preise, die seinen Namen erfolgreich in die Zukunft trugen.

Frisch von der Schulbank gepflückt

Schweizer Jugend forscht, Bern

Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe können ihre Abschlussarbeit oder ein persönliches Projekt einem Expertengremium vorstellen. Wenn sie mit ihrem Prototyp, ihrer Forschung oder ihrem Werk das Finale des Wett­bewerbs Schweizer Jugend forscht erreichen, erhalten sie Auszeichnungen, die ihnen den Zugang zu internationalen Veranstaltungen eröffnen.

«Ich habe Leute aus dem Kanton Uri oder dem Tessin getroffen, mit denen es eine gemeinsame Sprache gab.»Julián Cancino

Julián Cancino, Preisträger im Jahr 2005, kam so zu ­einem Forschungspraktikum am Max-Planck-Institut in Stuttgart. Danach studierte der Genfer bis zum Doktorat an der ETH Zürich. «Ich hatte mich schon vor dem Wettbewerb entschieden, Physik zu studieren», relativiert er. «Aber ich habe dabei Leute aus dem Kanton Uri oder dem Tessin getroffen, mit denen es eine gemeinsame Sprache gab: das Interesse an derselben Materie.» Es war ein Treffen von Jugendlichen mit Leidenschaft, «kein Festival für Nerds», stellt Julián klar. «Aber die Leute sind sicher überdurchschnittlich motiviert.»

Nicht gut für den Lebenslauf

Herz aus Stein, Köln (D)

Nicht alle Preise sind zum Ansporn gedacht. Mit ihrem Negativpreis Herz aus Stein zum Beispiel wollen die Ärzte gegen Tierversuche die aus ihrer Sicht absurdeste Studie mit Tierbeteiligung des Jahres küren. «Wir wissen, dass die Angst vor Gesichtsverlust einen stark vorbeugenden Effekt haben kann», sagt Verhaltensökonomin Jana Gallus. «Das Herz aus Stein werde ich sicher nicht in meinen Lebenslauf schreiben.» Allerdings könne bei Fragen mit politischem Charakter die Schelte der einen Seite zu einem Reputationsgewinn auf der anderen führen.

Nach 90 Jahren erste Frau

Marcel Benoist, Bern

Biologin Gisou van der Goot von der EPFL war 2009 die erste Frau, die den Marcel-Benoist-Preis erhielt. Der wichtigste Wissenschaftspreis der Schweiz wird seit 1920 verliehen. 2019 und 2022 gab es Nachfolgerinnen. Van der Goot erinnert sich an ihre Auszeichnung:

«Die Bemerkungen, dass ich als Mutter zu wenig präsent sei, verstummten plötzlich.»Gisou van der Goot

«Beruflich hatte der Preis erstaunlicherweise keinerlei Auswirkungen: Ich wurde nie darauf angesprochen. Dass ich die erste Frau war, hat meine Forschung vielleicht in den Hintergrund gedrängt. Lehrerinnen und Mütter von Klassenkameraden meiner Kinder hingegen erfuhren im Radio, dass ich den prestigeträchtigen Preis erhalten hatte. Die Bemerkungen, dass ich als Mutter zu wenig präsent sei, verstummten plötzlich. Dass der Preis grössere Auswirkungen auf mein Familienleben als auf meine akademische Laufbahn hatte und dass erst so spät Frauen diesen Preis erhielten, sagt viel aus, auch wenn ich nicht genau weiss, was.»

Sich gegenseitig Mut machen

John Maddox, London (GB)

Der Brite John Maddox war langjähriger Herausgeber der Fachzeitschrift Nature – und polemisierte zeitlebens gegen Pseudowissenschaften. Ihm zu Ehren verleiht die Stiftung Sense about Science den gleichnamigen Preis für Forschende, die sich «mutig und integer für sorgfältige Wissenschaft und Evidenz einsetzen». Klar spornt dies die Ausgezeichneten an, findet der emeritierte Soziologe Joel Best von der University of Delaware in Newark (USA), der einen Artikel über die steigende Zahl von Preisen publiziert hat. Die Anerkennung sei aber auch für die Gebenden nützlich: «Sie sind froh, dass sie zeigen können, was in ihrer Welt gut ist. Und auch das Publikum sieht sich in seinen eigenen Werten bestätigt.»

Top-Spirituosen schlagen prima Spirit

Internationaler Wissenschaftsrat, Paris (F)

Er will «die Welt durch die Macht der Wissenschaft zusammenbringen». Im Jahr 2021 hat der Internationale Wissenschaftsrat die ISC Awards ins Leben gerufen mit dem Ziel, «Exzellenz für den Fortschritt der Wissenschaft als globales öffentliches Gut zu feiern». Die Wirkung ist indessen fraglich: Im Internet gibt es mehrere ISC Awards zu finden, zum Beispiel den Preis der International Spirits Challenge, «der prestigeträchtigste und einflussreichste Spirituosenwettbewerb der Welt».

Preisgeld für die Hypothek einsetzen?

Latsis, Genf

Obwohl in der Schweiz nicht gern über Geld gesprochen wird, hat sich eine Person mit Latsis-Preis bereit erklärt, anonym über die Verwendung des Preisgeldes zu sprechen:

«Persönlich finde ich schon, das Geld sollte wieder in die Forschung fliessen.»Person mit Latsis-Preis

«100 000 Franken sind eine stattliche Summe. Sie ist frei verfügbar, was mir etwa erlaubt hätte, mich aus der Lehre herauszukaufen oder befristet eine Administrativkraft anzustellen. Ich habe das Geld aber in ein Projekt investiert, für das ich sonst keine Förderung erhalten hätte. Da mir die Summe auf ein Konto der Hochschule aus­bezahlt wurde, waren auch keine Steuern fällig. Unter Preistragenden wird generell nicht über das Geld gesprochen, aber ich weiss von Leuten, die damit ihre Hypothek abbezahlt haben. Persönlich finde ich schon, das Geld sollte wieder in die Forschung fliessen. Neid auf mich habe ich nie gespürt, im Gegenteil, der Preis bestärkt indirekt andere Forschende im Feld in ihrer Methodenwahl.»

Von Kommunikation für Kommunikation

Heinz Oberhummer, Wien (A)

Seit 2016 krönen die österreichischen Kabarettisten Science Busters mit diesem Award hervorragende Wissenschaftskommunikation – auf einer Metaebene sozusagen. Er wird zu Ehren des verstorbenen Physikers Heinz Oberhummer verliehen, eines früheren Mitglieds der Gruppe, und ist mit 20 000 Euro und einem Glas Alpakakot dotiert. Er bringt ans Rampenlicht, was Wissenschaft ansprechend vermittelt. Im Jahr 2021 erhielt der Ig-Nobel-Preis die Trophäe. Ein Preis für Wissenschaftskommunikation für einen Preis für kommunikative Wissenschaft – das Alpaka hat sich in den Schwanz gebissen.

Für eine bessere Menschheit

Balzan, Mailand (I) und Zürich

Fünf Preise verlieh die Balzan-Stiftung im Jahr 2023: Neben einem Wissenschaftspreis für «hochauflösende Bilder von planetarischen Körpern bis zu kosmischen Objekten» gab es auch einen für Nothilfemassnahmen nach Kata­strophen in Italien und Lateinamerika. Die Konstellation mit dem Preis für «Humanität, Frieden und Brüderlichkeit unter den Völkern» erinnert an den Friedensnobelpreis.

«Die Rolle der Akademie in den nationalen Menschenrechtssystemen ist nicht so offensichtlich wie die von anderen Akteuren.»Dänisches Institut für Menschenrechte

Wie Humanität und Wissenschaft in Zusammenhang stehen, ist diskutierbar. Zwar sieht sich ein grosser Teil der Wissenschaften dem Humanismus verpflichtet. Doch Forschung soll auch nationale Wirtschaftsstandorte fördern, samt militärischer Industrie. Das dänische Institut für Menschenrechte schreibt dazu: «Die Rolle der Akademie in den nationalen Menschenrechtssystemen ist nicht so offensichtlich wie die von anderen Akteuren wie etwa Regierungen, Parlamenten, Gerichten, Strafverfolgungsbehörden, Medien und NGOs.» So überrascht es nicht, dass die Stifter der Friedens- und Humanitätspreise selbst nicht aus dem Wissenschaftsbetrieb stammen: Alfred Nobel etwa war Industrieller, Eugenio Balzan Geschäftsführer und Miteigentümer der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera.

Ruhm ist wirksamer als Geld

Millennium Problems, Cambridge (USA)

Sieben klingende Probleme: Darunter befindet sich zum Beispiel die Riemannsche Vermutung zu Primzahlen, die vor über hundert Jahren als ein grundlegendes Problem der Mathematik betrachtet wurde. Das Clay Mathematics Institute in Cambridge (USA) hat eine Million Dollar für die Lösung eines der Probleme ausgeschrieben. Im Gegensatz zu vielen Preisen wird hier im Vornherein definiert, welche Kriterien jemand erfüllen muss.

«Über eine Bonuszahlung spricht man nicht an der Bar, die Auszeichnung hingegen wird in den Medien verkündet.»Jana Gallus

Die öffentliche Ausschreibung sei wirksam – oft wirksamer als der Geldbetrag, sagt Verhaltensökonomin Jana Gallus. «Über eine Bonuszahlung spricht man nicht an der Bar, die Auszeichnung hingegen wird in den Medien verkündet.» Der Fall des russischen Mathematikers Grigori Perelman scheint dies zu bestätigen: Er veröffentlichte 2002 und 2003 einen Beweis der 200 Jahre alten Poincaré-Vermutung über n-dimensionale Kugeln, lehnte das Preisgeld aber ab. Die Medienaufmerksamkeit war ihm dabei sicher.

Ein Goodie für Doktorierende

Posterpräsentation, X-beliebige Konferenz

Im Konferenzsaal präsentieren die grossen Professorinnen in Keynote Lectures ihre Durchbrüche, im Gang aufgereiht sind die Poster der Doktorierenden, die ihre halberfolgreichen Resultate zusammenfassen. Die Belohnung für die besten unter ihnen: eine Urkunde. «Ich glaube nicht, dass Posterpreise verniedlichen», so der Soziologe Joel Best. «Die Prämierten können sich damit von der Menge ab­setzen. Die meisten Preise fühlen sich angenehm an.»

Illustrationen: Irina Fellner