Ob wir jodeln, eine Rockballade ins Mikrophon hauchen oder ekstatische Jazzimprovisationen von uns geben, sagt auch etwas darüber aus, wo wir zugehörig sind. | Foto: Keystone/Jean-Christophe Bott

Seit Jahrzehnten versuchen Forschende herauszufinden, weshalb wir Menschen so verschieden sind. Um der Antwort näher zu kommen, vergleichen sie verschiedene Aspekte von Kultur, deren Entwicklung mit der des Menschen einhergeht. Nun gelang einer Forschungsgruppe der Nachweis, dass Musik in ihrer Entwicklung einem eigenen Weg folgt.

Das internationale, multidisziplinäre Team unter Beteiligung der Universität Zürich stützte sich auf drei Datensätze, die Informationen aus über 120 Gesellschaften umfassen: knapp 1000 Lieder, fast 1300 genetische Profile und gut 120 Sprachen. Der Vergleich erlaubt Rückschlüsse darauf, wie sich die drei Aspekte in die Entwicklungsgeschichte der Menschheit einfügen. Das Ergebnis überrascht: Die Entstehung von musikalischen Traditio­nen verläuft unabhängig von Popu­lationsgeschichte oder Sprachregionen.

«Lieder, und Musik im Allgemeinen, werden innerhalb von Gesellschaften weitergegeben.»Chiara Barbieri

Noch gibt es keine endgültige Erklärung dafür, warum das so ist. Die Evolutionsbiologin Chiara Barbieri vermutet, dass es an der Art und Weise liegt, wie wir Lieder nutzen: «Lieder, und Musik im Allgemeinen, werden innerhalb von Gesellschaften weitergegeben. Anders als bei Genen ist dieser Transfer aber nicht erblich bedingt, sondern von Zufall und sozialen Faktoren geprägt.» Zum Beispiel können Lieder Status vermitteln und werden deshalb nicht von allen gesellschaftlichen Gruppen gleichermassen verwendet. Ausserdem komme es immer wieder zu Kontakt mit anderen Kulturen und so zum Austausch musikalischer Variation. Sprache sei zwar auch teilweise sozial geprägt, jedoch nicht durch genau dieselben Faktoren wie die Musik.

Dank dieser Studie konnte zudem erstmals ein globales Bild über die Evolution von Musik gezeichnet werden. Bisherige Studien fokussierten auf bestimmte Regionen, weshalb keine allgemeingültigen Aussagen möglich waren. Mit ihrer Arbeit tragen die Forschenden ein weiteres Puzzleteil dazu bei, das Rätsel der menschlichen Diversität und der komplexen Vorgänge dahinter zu lösen.

Passmore et al.: Global musical diversity is largely independent of linguistic and genetic histories. Nature Communications (2024)