Schlafplatz eines Obdachlosen in München, Deutschland. | Foto: Keystone/Raimund Kutter

Obdachlose haben selbst in der Akademie nur ein prekäres Zuhau­se, schreibt das unabhängige Harvard-Magazin im April 2024. Die Forschung zum Themas sei mangelhaft. In Harvard gibt es seit 2019 immerhin die Initiative on Health and Home­less­ness, die mehr und mehr Studierende anzieht. Leiter ­Howard Koh betont: «Obdachlosig­keit untergräbt das Grundgerüst der Gesellschaft.» In einer der wenigen Studien stellte Jill Roncarati 2018 unter anderem fest, dass die Sterblichkeitsrate der Obdachlosen in Boston zehnmal höher war als die der allgemeinen Bevölkerung. Eine grosse Erhebung in Kalifornien, wo rund ein Drittel der Obdachlosen der USA lebt, belegte vergangenes Jahr: Zwei Drittel haben Symptome psychischer Probleme, fast die Hälfte bezeichnet den eigenen körperlichen Gesundheitszustand als schlecht.

«Obdachlosig­keit untergräbt das Grundgerüst der Gesellschaft.»Howard Koh

In den USA ist es schwierig, Gelder für solche Forschung zu erhalten, wie Koh erklärt. Ein grosser Teil der Studien zur öffentlichen Gesundheit werde von den National In­sti­tutes of Health (NIH) unterstützt. Diese haben zwar ein sattes Jahresbudget von 45 Milliarden Dollar, aber Obdachlosigkeit passe nicht recht rein. Forschende könnten zwar NIH-Mittel erhalten, wenn sie Studien zu Krankheiten konzi­pie­ren, von denen Obdachlose betroffen sind, beispielsweise Diabetes oder Suchtkrankheiten. Aber diese Studien lieferten ein unvollständiges Bild.

In der Schweiz hat die Forschung zu Obdachlosigkeit auch Lücken, wie die Plattform Sozialinfo.ch im Jahr 2020 klarmachte. Damals war ein nationaler Bericht unter der Führung der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) erschienen. Mit Hochrechnungsmodellen hatte der Bericht eine Zahl von etwa 1000 bis 2000 Obdachlosen ermittelt. Auch in Deutschland wer-den vom Bundesministerium für Sozia­les erst seit 2022 belastbare Zahlen zu Obdachlosigkeit er­hoben. Zwei aktuelle kleinere Schweizer Studien rund um Matthias Drilling und Jörg Dittmann wurden 2022 und 2023 abgeschlossen. Und die FHNW hat mittlerweile ein Team zum Thema Obdachlosigkeit, das bereitsteht für Forschungsideen und Beratungen.