TINNITUS
Gegen das lästige Pfeifen im Ohr
Wer unter Tinnitus leidet, hört andauernd Phantomgeräusche und ist dadurch im Alltag beeinträchtigt. Schweizer Forschende untersuchen, ob Betroffene ihr Gehirn durch Neurofeedback dagegen wappnen können.

Ein Patient lernt, die Aktivitäten der Hirnrinde mittels Neurofeedback zu regulieren. Das hilft ihm vermutlich auch dabei, mit dem Phantomklang Tinnitus umzugehen. | Foto: ZVG
Klingeln, Summen, Pfeifen, Rauschen: Die Liste der Geräusche, von denen Tinnitus-Betroffene erzählen, ist lang. Das zugrunde liegende Phänomen ist stets dasselbe: ein Dauerton im Ohr, der keine externe akustische Quelle hat. Er wird im Gehirn produziert. Der medizinischen Forschung geben diese Phantomgeräusche Rätsel auf. Denn sie können so viele Ursachen haben wie Ausprägungen.
In den meisten Fällen tritt ein Tinnitus zwar vorübergehend auf, etwa nach einem lauten Knall. Er kann aber auch durch Medikamente, Stress, Schädeltraumata, Infektionen oder fortschreitende Schwerhörigkeit verursacht werden. «Laut einer der gängigsten Theorien führen diese Faktoren zu einem Hörverlust, auf den das Gehirn mit einer Fehlanpassung reagiert: Es erzeugt die Empfindung eines Tons, obwohl keine äussere Schallquelle vorhanden ist», erklärt Dimitrios Daskalou, Tinnitusforscher an den Universitätsspitälern Genf (HUG).
Bis zu jede fünfte Person ist einmal im Leben betroffen, in der Schweiz etwa eine von 50 von der chronischen Form. Von Chronizität sprechen Ärzte, wenn ein Tinnitus länger als sechs Monate anhält, so Daskalou. Erkrankte leiden oft an schweren Beeinträchtigungen der Lebensqualität, mehr als ein Drittel hat Depressionen, Schlafstörungen oder Angstzustände. Der aktuelle Behandlungsstandard ist die kognitive Verhaltenstherapie, bei der es vor allem darum geht, den Umgang mit Tinnitus zu lernen. Ihre Wirkung variiert aber stark und ist oft nicht von Dauer.
Mental das Objekt bewegen
In den letzten Jahren wurden nun einige Projekte gestartet, die stattdessen auf das sogenannte Neurofeedback setzen. Diese Therapiemethode beruht auf zwei Annahmen: der Fähigkeit des menschlichen Gehirns, zu lernen, sowie einer messbaren veränderten Hirnaktivität bei Tinnituspatientinnen. «Mit Neurofeedback kann eine Person lernen, die Aktivität einer Hirnregion selbst zu steuern», erklärt Basil Preisig vom Institut für Vergleichende Sprachwissenschaft der Universität Zürich.
«Wir testen, ob so fehlgeleitete Hirnfunktionen bei Tinnitus korrigiert werden können.» Er leitet ein Projekt, das die Fähigkeit, in akustisch schwierigen Situationen zuzuhören, untersucht: «Das Fokussieren auf ein Sprachsignal mit gleichzeitigem Ausblenden von Hintergrundgeräuschen ist bei Tinnitusbetroffenen und Schwerhörigen oft eingeschränkt.» Mittels Neurofeedback sollen sie lernen, ihre akustische Aufmerksamkeitslenkung zu verbessern.
Dabei wird die Aktivität der Nervenzellen in der zuständigen Gehirnregion gemessen und in Echtzeit in ein Bild oder einen Ton umgewandelt. Diese Wiedergabe wird der Person zum Beispiel als bewegliches Objekt auf einem Bildschirm angezeigt. Der Patient kann nun verschiedene mentale Strategien testen, um die Erregung der betreffenden Hirnzellen gezielt zu beeinflussen. Gelingt ihm das, wird die Wirkung sofort sichtbar, etwa indem das Objekt auf dem Bildschirm seine Position verändert.
Während es in Zürich primär um Sprachverarbeitung geht und mittels Elektroden auf der Kopfhaut gemessen wird, setzt das Projekt von Daskalou auf die Aktivität der Hörrinde und beobachtet mittels funktioneller Magnetresonanztomografie. Die Hörrinde ist bei Tinnituspatienten oft überaktiv und steht im Verdacht, den Phantomklang mit zu produzieren.
Besserer Therapieerfolg
«Wer mit Neurofeedback lernt, sie zu regulieren, hat langfristig häufig bessere Therapieerfolge als mit konventioneller Verhaltenstherapie », beschreibt er die Ergebnisse einer Studie von Wyss-Zentrum, EPFL und HUG, an der er beteiligt war. Die Wissenschaftler sind sich jedoch einig: es braucht mehr Daten, bis solche Ansätze klinisch einsetzbar werden.
Nathan Weisz, Leiter des Labors für auditive Neurowissenschaften der Universität Salzburg, fasst die Herausforderungen zusammen: «Wir benötigen robuste neuronale Messdaten, die zuverlässig mit Tinnitus zusammenhängen. Dies ist umso wichtiger angesichts des enormen Aufwands sorgfältiger Neurofeedback-Studien.»