Ein Politologe macht Politik
Romain Felli verbindet die Theorie mit der Praxis. Der Forscher analysiert die institutionelle Kommunikation zum Klimawandel. Gleichzeitig sitzt er im Gemeinderat von Lausanne.
Früher wollte er Notar werden und «viel Geld verdienen», später Geograf und die Umwelt schützen, und schliesslich Beamter bei den europäischen Institutionen. Ausserdem hat er sein Glück beim Skifahren versucht, und sein «eleganter, aber nicht genügend schneller» Stil reichte immerhin für die zweite Stufe des Treppchens bei den Westschweizer Slalom-Meisterschaften. Schliesslich stellte er fest, dass ihn nichts so sehr begeistert wie die Forschung. Heute passen alle Puzzleteile zusammen: Romain Felli untersucht die Politik im Bereich Klimawandel. Als Oberassistent für Politikwissenschaften an der Universität Lausanne und Lehrbeauftragter am Institut für Umweltwissenschaften der Universität Genf befasst sich der elegante Mittdreissiger, der gerne Fliege trägt, mit der Frage, was die internationalen Institutionen zum Schutz der Umwelt unternehmen.
Seine Arbeiten bilden einen scharfen Kontrast zum klassischen Diskurs über die Klimaerwärmung. «Mit den aktuellen politischen Konzepten gelingt es in keiner Weise, den Temperaturanstieg einzudämmen», bringt es der Forscher auf den Punkt. «Der Konsens besteht darin, den Trend zu einem zerstörerischen Wachstum in keiner Weise infrage zu stellen, sondern sich damit zufrieden zu geben, das Beste daraus zu machen.» Dies zeige sich in den Programmen zur Anpassung an den Klimawandel, die auf zusätzliche Marktmechanismen setzen, beispielsweise mit privaten Mikro-Versicherungen für Kleinbauern.
Der Sohn eines Skischulleiters in Leysin in den Waadtländer Voralpen begann sich für den Klimawandel zu interessieren, als er sein Skigebiet bedroht sah: «Ich realisierte, dass die Folgen nicht nur weit entfernt oder in ferner Zukunft eintreten werden, sondern vor meiner Haustüre.»
Seit rund zehn Jahren befasst sich Romain Felli mit den Diskursen zum Klimawandel, beispielsweise damit, wie «Klimaflüchtlinge» zu «Migranten» geworden sind. Später hat er das heute allgegenwärtige Konzept der Resilienz untersucht, bei dem der Fokus nicht auf der Bekämpfung, sondern auf der Anpassung liegt.
«Mit seinen Arbeiten hat er einen neuartigen Ansatz entwickelt», erklärt Géraldine Pflieger, Leiterin des Instituts für Umweltwissenschaften an der Universität Genf. «Sie geben eine andere Sicht auf die Welt.» Sie erachtet den Waadtländer als einen «atypischen Forscher, der einen kritischen Ansatz mit methodischer Genauigkeit verbindet und ein brillanter Theoretiker ist».
Romain Felli analysiert derzeit die Kommunikation der Weltbank zum Thema Resilienz und entschlüsselt die Soziologie der herangezogenen Experten. «Drei Viertel haben dieselben Universitäten in Grossbritannien oder den USA besucht», erklärt er. «Zahlreiche Studien haben jedoch gezeigt, wie wichtig lokales Wissen ist.» Der 36-jährige Politologe möchte keine Weltuntergangsstimmung verbreiten, kritisiert aber
den Aufruf zu Anpassung als «politische Resignation». Der Wille fehle, wirtschaftliche Strukturen zu verändern, die Ressourcen ausbeuten. Ein Trend, der perfekt zur neoliberalen Logik passt, bei der sich die Angepassten am besten aus der Affäre ziehen: «Treibhausgasreduktionen kommen allen zugute, Massnahmen zur Anpassung hingegen nur denjenigen, die sie treffen.»
Ein forschender Gemeinderat
Kritik ist einfach, wenn man nicht selber Verantwortung übernimmt. Dieser Vorwurf zielt bei Romain Felli ins Leere. An zwei Dienstagabenden pro Monat wechselt er als Gemeinderat von Lausanne in die Praxis. Der Wissenschaftler aus liberalem Haus hat mit der Familientradition gebrochen und ist 2007 der Sozialdemokratischen Partei (SP) beigetreten.
Der Forscher ist Mitglied der Finanzkommission für die industriellen Betriebe, die für die Energiewende in der Waadtländer Kantonshauptstadt verantwortlich ist. Trotz seines Fachwissens nimmt er nicht als Experte Stellung. Seine Forschung hat ihn dennoch für gewisse Punkte sensibilisiert, zum Beispiel für «mögliche Massnahmen gegen die Bildung von Wärmeinseln in Hitzeperioden». Der Vater eines
fünfjährigen Jungen hat deshalb ein Postulat zur Schaffung von Planschbecken in öffentlichen Parks und für das Anpflanzen von Obstbäumen in der Stadt lanciert. Für den Präsidenten der SP Lausanne, Benoît Gaillard, ist Romain Felli «ein echter Sozialdemokrat, der konkrete Dinge sofort ändern will und auch ein Ideal vor Augen hat.»
Seine akademische Arbeit beeinflusst nicht nur seine politische Tätigkeit, sondern auch umgekehrt. «Das Mandat im Gemeinderat hat mich dafür sensibilisiert, dass es schwierig ist, Allianzen zu schmieden, und dass in Institutionen politische und wirtschaftliche Zwänge bestehen.» Dass er seine beiden Rollen nicht vollkommen trennen kann, beschäftigt ihn hingegen nicht. Er empfindet diese Interaktionen eher als «gegenseitig befruchtend», solange die Eigenheiten beider Institutionen respektiert werden «und man seine jeweilige Aufgabe richtig versteht».
Der Sozialdemokrat macht sich keine Sorgen über die Neutralität der Forschung. «Meine Projekte betreffen Fragen, die ich als politisch wichtig erachte, was aber nicht bedeutet, dass meine Forschung dadurch beeinflusst wird.» Wichtiger als Neutralität scheint ihm, den Blickwinkel und die Methoden zu erklären, damit seine Arbeiten reproduzierbar sind. «Wenn eine Person mit einer andern politischen Sensibilität meinen Ansatz verwendet, sollte sie zu denselben Ergebnissen gelangen, selbst wenn sie sich zu Beginn vielleicht nicht dieselbe Frage gestellt hätte.»
Eines ist für Felli ganz klar: Der Wissenschaftler, der sein Leben mit einer Sozialwissenschaftlerin teilt, geniesst es, mit seinem Sohn die Skipisten in seiner Heimat Leysin hinunterzufahren, wann immer er Zeit findet. Solange es noch Schnee hat.
Die Journalistin Martine Brocard wohnt in Lausanne.