Profis sorgen fürs Überleben grosser Sportverbände
In den Sportverbänden der Schweiz wird viel Freiwilligenarbeit geleistet. Doch in den letzten Jahren findet eine Professionalisierung statt. Sportsoziologen haben Ursachen und Konsequenzen untersucht.
Rund ein Viertel der Schweizer Wohnbevölkerung zwischen 5 und 74 Jahren ist in einem Sportverein aktiv. Zurzeit ist eine Professionalisierung des Vereinssports zu beobachten. So beträgt der Anteil an bezahlter Arbeit am gesamten Arbeitsvolumen rund 16 Prozent, wie das Observatorium für Sport und Bewegung Schweiz in seiner aktuellen Vereinsstudie festhält. Erstmals hat nun ein Forschungsteam der Universitäten Lausanne und Bern in einem vom SNF geförderten Projekt die Professionalisierung in nationalen und internationalen Sportverbänden in der Schweiz untersucht. Die empirische Bearbeitung basiert auf Überblicksdaten praktisch aller schweizerischen Sportverbände sowie auf Fallstudien mit zehn nationalen und acht internationalen Sportverbänden.
Dabei stellten die Forschenden fest, dass der grösste Teil der Verbände von ehrenamtlichen und bezahlten Angestellten gemeinsam gemanagt wird – im sportlichen wie im administrativen Bereich. Bei kleineren, sehr leistungsorientierten Verbänden sind die Profis eher im sportlichen Bereich zu finden, also etwa im Trainingsbetrieb, bei mittleren, weniger leistungsorientierten Verbänden hingegen eher in der Administration.
Immerhin ein Fünftel der untersuchten Verbände werden weitgehend von Hauptberuflichen gemanagt, etwas mehr als ein Drittel nur von Freiwilligen. Insgesamt sind auch heute noch über achtzig Prozent aller Funktionen in den Verbänden ehrenamtlich, und praktisch jeder Verband hat ein ehrenamtliches Präsidium. «Ehrenamtlichkeit und Professionalität schliessen sich aber nicht aus», betont der Koautor der Studie Siegfried Nagel von der Universität Bern. «Auch Ehrenamtliche können hochprofessionell arbeiten.» Professionalisierung bedeute auch, dass das Personal zukunftsgerichtet, mitgliederorientiert und strategisch arbeitet.
Internationale Konkurrenz treibt an
Sportverbände sind traditionell Freiwilligenorganisationen, und so stellt sich die Frage, warum sie sich überhaupt professionalisieren. «Bei nationalen Verbänden sind der wachsende internationale Konkurrenzdruck und die Kommerzialisierung im Spitzensport ein wesentlicher Treiber», sagt Nagel. «Um Nachwuchs- und Spitzenathleten möglichst optimal fördern und unterstützen zu können, sind zusätzliche finanzielle Ressourcen notwendig, die zunehmend über Sponsoren generiert werden.» Eine wichtige Rolle spiele auch der Dachverband Swiss Olympic, der von den Sportfachverbänden strategische Konzepte und hauptamtliche Stellen für eine zielgerichtete Förderung erwarte.
Die Professionalisierung betrifft aber nicht nur den Leistungs- und Spitzensport. Nagel erklärt: «Sportverbände fördern mit der Professionalisierung auch den Breitensport. » Das manifestiert sich etwa in einer besseren Betreuung der Mitgliedervereine, zum Beispiel mit Dienstleistungen im digitalen Bereich: «Verbände können Plattformen für die Mitgliederverwaltung oder die Wettkampforganisation zur Verfügung stellen», so Nagel. Auch bei der Ausbildung sind die Verbände wichtig. Und wenn Vereine im Zuge der Professionalisierung bezahlte Fachkräfte anstellen, stellt sich plötzlich auch die Frage nach dem Personalmanagement: Wer führt Mitarbeitergespräche? Wie wird Feedback gegeben?
Angesichts von Korruptionsskandalen in grossen professionalisierten Verbänden wie der Fifa oder jüngst der Internationalen Biathlon-Union ist fraglich, ob die zunehmende Professionalisierung in kleineren Verbänden beim sportlichen Fussvolk auf Vereinsebene gut ankommt. Für Sportwissenschaftler Ansgar Thiel von der Universität Tübingen steht fest: «Durch die Professionalisierung werden Entscheidungen systematisiert und juristisch nachvollziehbar, was letztlich der Korruption entgegenwirkt.»
Thiel und Nagel betonen die Wichtigkeit einer guten Aufgabenteilung zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen in der Verbandsarbeit. Eine sinnvolle Balance zwischen dem gewählten ehrenamtlichen Vorstand oder Präsidium und der hauptamtlichen Geschäftsführung sei entscheidend, so Nagel. Es müsse klar definiert werden, wer die jeweiligen strategischen und operativen Aufgaben verantwortet. Ansonsten bestehe die Gefahr von Konflikten, sagt Nagel.
Die Professionalisierung schreitet fort, doch sie ist kein neues Phänomen, wie Sporthistoriker Christian Koller von der Universität Zürich sagt: «Kommerzialisierung und Professionalisierung sind im Sport seit jeher Hand in Hand gegangen.» Zwischen dem späten 19. und dem späten 20. Jahrhundert habe es immer mehr professionelle Athleten und Trainerinnen gegeben, später folgten auch die Funktionäre. Einerseits habe die Kommerzialisierung das Geld in den Sport gebracht, das die Professionalisierung erst ermöglichte, andererseits hätten die Profis die Kommerzialisierung aktiv vorangetrieben.
Der Blick in die Sportgeschichte zeigt zudem: In der Pionierphase der internationalen Sportverbände um 1900 war noch alles ehrenamtlich. «Das Internationale Olympische Komitee war damals von Aristokraten dominiert, die sich dieses Engagement und die damit verbundenen Reisen zu internationalen Kongressen überhaupt leisten konnten», erklärt Koller. Schon im frühen 20. Jahrhundert hätten aber viele Verbände bezahlte Sekretäre angestellt. Mit der zunehmenden politischen Bedeutung des Sports insbesondere im Kalten Krieg seien die staatlichen Sportadministrationen gewachsen.
Symbolfigur Sepp Blatter
Ein weiterer Professionalisierungsschub setzte schliesslich in den Siebziger- und Achtzigerjahren ein, der wiederum mit Kommerzialisierung einherging. Die Liberalisierung der Telekommunikation in den Achtziger- und Neunzigerjahren brachte schliesslich den Quantensprung. Symbolfigur für diese Entwicklung ist Sepp Blatter: «Mit seiner Wahl zum Fifa-Präsidenten 1998 kam erstmals jemand an die Spitze des Weltfussballverbandes, der schon zuvor im professionellen Apparat des Verbandes tätig gewesen war und die Kommerzialisierung durch strategische Partnerschaften mit mehreren Grosskonzernen aktiv mitgestaltet hatte», so Koller.
Bleibt die Frage: Wohin bewegen sich die Sportverbände? «In Deutschland und der Schweiz basieren Vereine und Verbände auf Freiwilligenarbeit, und das soll auch so bleiben. Aber je differenzierter die Aufgaben werden, umso notwendiger sind professionelle Strukturen. Wir werden wohl auch künftig hybride Formen haben», sagt Thiel.
Dabei stelle sich insbesondere auf Vereinsebene manchmal die Frage, wer noch bereit ist, unbezahlten Einsatz zu leisten, wenn es nebenher Leute im Verein hat, die für ihre Arbeit bezahlt werden. Für einen Juristen oder eine Politikerin könne sich die ehrenamtliche Vorstandsarbeit durch Knüpfen beruflicher und politischer Kontakte auszahlen. Der Nutzen muss in einem angemessenen Verhältnis zum Aufwand stehen. «Eine ehrenamtliche Führungsperson hat in der Regel nicht genügend Zeit, um das in einem grösseren Verein oder einem Verband anfallende Arbeitsvolumen im Führungsbereich angemessen zu bewältigen», so Thiel. «Dort ist Professionalisierung eine Überlebensstrategie.»