Fokus: Geistreich gegen die Klimakatastrophe
Zehnmal Hoffnung aus der Technologie
Die Erwärmung bremsen oder sich an sie anpassen? In beiden Fällen geht es nicht ohne technische Innnovationen. Ein Klimajournalist porträtiert zehn Schweizer Forschungsprojekte und -Start-ups.
Von der Luft ins Treibhaus
Das Schweizer Vorzeige-Startup zum Klimaschutz Climeworks hat mit seinen CO2-Filtern Schlagzeilen gemacht. 14 Anlagen sind schon in Betrieb – die grösste in Hinwil (ZH). Kernstück der Climeworks-Technik: Ein Filter, der ein Granulat mit industriell weit verbreiteten Aminen enthält. Diese binden das CO2 zusammen mit Luftfeuchte. Bei Erhitzung auf 100 Grad Celsius gibt der Filter das Gas wieder frei.
Das hochkonzentrierte CO2 kaufen etwa Betreiber von Treibhäusern und Hersteller kohlensäurehaltiger Getränke. In einer Pilotanlage in Island hingegen wird das Gas im Untergrund gespeichert, um negative Emissionen zu erzielen. Climeworks ist im Jahr 2019 auch Kooperationen mit den Firmen Svante (Kanada) und Antecy (Niederlande) eingegangen, die alternative Methoden, verfolgen, das CO2 aus der Luft zu holen. Climeworks scheint als Frühstarter auf gutem Wege, in diesem Markt eine zentrale Rolle zu spielen.
Gletscher für den Sommer gerüstet
Die Gletscher in der Schweiz schrumpfen rasant – aber auch unvermeidlich? Man könne den Rückgang vielleicht durch Beschneien aufhalten, meint Felix Keller. Der Gedanke kam dem Wissenschaftler von der Academia Engiadina beim Fischen. «Die Idee ist simpel: Wir behalten das Schmelzwasser oben und produzieren daraus im Winter ohne elektrischen Strom Schnee, der im Sommer das Gletschereis schützend zudeckt.» Frei schwebende Wasserleitungen sollen bei Minusgraden die Gletscherzunge mit Schnee bestäuben. Im Sommer reflektiert der Schnee dann viel Sonnenlicht, der Gletscher schmilzt weniger. Entnimmt man das Wasser einem höher gelegenen Schmelzwassersee, wäre nicht einmal eine Pumpe nötig.
In dem Projekt «Mortalive» soll so der Morteratsch-Gletscher gerettet werden. Eine verrückte Idee. Keller konnte immerhin andere Forschende und zwei Industriepartner für einen Praxistest am Piz Corvatsch gewinnen.
Leisere Windräder
Anstatt wie üblich horizontal gelagert, entwickelt «Agile Wind Power » Windräder mit vertikaler Rotorachse. Sie haben gemäss Firma mehrere Vorteile: Es entstehe deutlich weniger Lärm und die Anlagen würden Vögel und Fledermäuse schonen. Gerade in der dezentralen Stromproduktion, etwa nahe Siedlungen, eröffnet sich für die Vertikalen darum eine Nische.
Nahe Düsseldorf begann 2019 der Bau einer Demonstrationsanlage. Das Modell «Vertical Sky A32» ist 105 Meter hoch. Um die mechanische Belastung gering und den Wirkungsgrad hoch zu halten, werden die Rotorblätter kontinuierlich nachgesteuert. Schon jetzt sind die Anlagen mit einer Leistung von 750 Kilowatt serienreif: Bei Bremen werden sie künftig produziert.
Neue Bäume für den Schutzwald
Zwischen Brig und Hohtenn im Wallis schlängelt sich die Südzufahrt zum Lötschberg-Scheiteltunnel in die Höhe. Ein partiell bewässerter Forst aus Eschen, Ahornbäumen, Birken und Robinien schützt sie. «Die Bäume bewahren die Bahn vor Lawinen, Steinschlag und Erosion», erklärt die Geologin Nicole Viguier von der BLS-Bahngesellschaft.
Mit der Veränderung des Klimas wächst aber die Gefahr, dass der Baumbestand unter den hohen Temperaturen leidet. Damit der Schutzwald weiterhin seine Funktion erfüllt, suchen nun Mitarbeiter der BLS, des Bundesamts für Umwelt, der Forschungsanstalt WSL und des Kantons Wallis passende Baumarten. Eine Frage ist zum Beispiel, ob man auf gebietsfremde Baumarten wie die hitzetolerante Douglasie setzt.
Nach einer Literaturstudie entsteht zurzeit eine Bestandeskarte. Danach wird ein Konzept für Probe- und Beobachtungsflächen erarbeitet. Welche Bäume die geeignetsten sind, müssen dann Feldstudien eines Folgeprojekts zeigen.
Effiziente Brennstoffzellen für klimaschonenden Verkehr
Brennstoffzellen erzeugen elektrochemisch Strom, indem ein Brennstoff und ein Oxidationsmittel miteinander reagieren. Das Start-up EH Group Engineering bei Lausanne entwickelt besonders kompakte Zellen für die Nutzung von Wasserstoff. Wird dieser mit Strom von erneuerbaren Energiequellen hergestellt, ist die Nutzung von Brennstoffzellen sehr klimafreundlich.
Die Zellen der EH Group sind ungewöhnlich dicht gestapelt, dabei sehr leicht und effizient. Laut dem Mitarbeiter Christopher Brandon eignen sie sich sehr für Anwendungen im Bereich Mobilität – ob es nun um PKW, Busse oder Boote geht. In den nächsten zwölf Monaten soll die Produktion in der benötigten Grössenordnung erreicht werden, wie es heisst.
Kühle Strassenbeläge für heisse Tage
Gerade im Sommer heizen sich Städte stärker auf als die Umgebung. Der Effekt kann vor allem nachts mehrere Grad ausmachen. Die Gefahr, dass bei Hitze gesundheitlich kritische Schwellen überschritten werden, wächst so zusätzlich. Eine wichtige Ursache: dunkle Strassenbeläge, die viel Sonnenlicht aufnehmen.
Darum sollen im Sommer 2020 in Bern Beläge getestet werden, die sich weniger aufheizen. «Wir probieren Beimischungen heller Gesteine und Einfärbungen der Beläge aus», sagt Vincent Roth von Grolimund und Partner. Temperatursonden im Belag und Aufnahmen mit Infrarotkameras verrraten, wie gut sich die Erwärmung reduzieren lässt. Das Ingenieurbüro arbeitet mit der Bauunternehmung Hans Weibel AG und dem Tiefbauamt Bern zusammen; Modellrechnungen steuert die ETH Zürich bei. Wunder sollte man von dem Projekt nicht erwarten. Doch immerhin könnten klimafreundliche Beläge die Aufheizung der Städte ein wenig lindern.
Beton mit weniger Zement
Bauen und Klimaschutz vertragen sich schlecht: Die Herstellung von Zement setzt viel CO2 frei. Doch es gibt Auswege.
Das Spin-off Neustark verbessert das Recycling von Beton. Normalerweise wird dabei das Material eines Gebäudeabbruchs einer neuen Betonmischung beigefügt. Dafür begast Neustark den Schutt erst mit CO2, worauf sich Kalk bildet, der die Poren schliesst. Das Material taugt besser für neuen Beton und vermindert den Zementverbrauch. Wird das benötigte CO2 aus Biomasse erzeugt, lässt sich das Gas sogar der Luft entziehen. Derzeit entsteht nahe Bern eine Pilotanlage für den kommerziellen Betrieb.
Das Spin-off Oxara hingegen verwandelt unbelasteten Aushub aus Baugruben in zementfreien Beton: Mineralische Additive machen das Aushubmaterial formbarer und beschleunigen seine Aushärtung. Das Produkt eignet sich für nichttragende Bauteile. Die Entwicklung der Technik für den Markt dauert noch an.
Flexible Fenster und Fassaden
Dächer und Fassaden sind wesentliche Bauelemente, um Gebäude im Zeitalter des Klimawandels vor dem Aufheizen zu bewahren. Das noch junge Spin-off «innovative Windows» entwickelt Fenster, die vor dem Einfall von Sonnenlicht schützen und gleichzeitig Strom produzieren. Das Konzept: Zwischen zwei Fensterscheiben wird eine Jalousie eingefügt, die mit Solarzellen besetzt ist. Die Jalousie ist beidseitig von Glas umschlossen und so vor Umwelteinflüssen geschützt.
Ob die Solarjalousien eine Marktchance haben ist unklar. Gibt es doch viele andere Ansätze. Eine Gruppe an der ETH Zürich hat Solarpaneele für Fassaden entwickelt, die sich automatisch nach der Sonne richten. Oder weniger Hightech: Begrünte Dächer verhindern die Aufheizung, sammeln Regen und erhöhen die Luftfeuchte.
Mit elektrischen Taxis in die Lüfte
Schon heute surren überall Drohnen. Folgen bald elektrische Lufttaxis? An so ein Fluggerät entwickelt der Boeing-Ableger «Aurora Swiss Aerospace » mit. Zum Klimaschutz können Flugtaxis beitragen, wenn die Energie für den Bau und der Strom für den Betrieb aus CO2-armen Quellen stammen.
Acht Rotoren verhelfen dem «Passenger Air Vehicle» zu vertikalen Starts und Landungen. Der erste Flug gelang im Januar 2019. Für den Horizontalflug hat das Vehikel Flügel und einen weiteren Antriebsrotor. Der Übergang vom Start in den Schwebeflug bereitet den Entwicklern aber noch Kopfzerbrechen. Das Flugtaxi soll zwei bis vier Passagiere über maximal 80 Kilometern transportieren können. Noch stehen Fragen nach Sicherheit und Lärmschutz im Raum. Bis zur Praxistauglichkeit dürfte es noch Jahre dauern.
Weniger Schimmel, weniger Foodwaste
Bei der Produktion von Lebensmitteln entstehen Treibhausgase. Wenn Obst und Gemüse verschimmeln und weggeworfen werden müssen, sind auch diese Emissionen verschwendet. Die Bekämpfung des Schimmels mit Fungiziden ist daher klimaschonend. Doch viele synthetische Pilzbekämpfungsmittel sind problematisch: «Je nach Konzentration können sie die Biodiversität und die Gesundheit schädigen», sagt die Unternehmensgründerin Olga Dubey. Mit dem Startup Agrosustain sucht sie nach natürlichen Fungiziden ersetzen.
Einen ersten Stoff gewann Agrosustain aus der Pflanze Acker-Schmalwand. Insgesamt stecken fünf natürliche Fungizide in der Vorbereitung. Beim Abbau hinterlassen sie laut Dubey keinerlei Rückstände. Kooperationen mit dem Forschungsinstitut Agroscope und dem Detailhändler Migros sollen helfen, marktfähige Produkte zu entwickeln. Investoren sind schon gefunden.
Illustrationen: Lui Chi Wong